• Fiona@discuss.tchncs.de
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    8 days ago

    Nach längerem als idealerweise nötigem Suchen habe ich das Aktenzeichen und damit dann auch das Urteil gefunden: 5 StR 382/24. Wie gehabt: Verlinkt doch bitte die eigentlichen Urteile, nicht den Schrott, den die Presse wieder daraus macht. Wie so oft ist das nämlich auch hier wirklich ein spannender Fall, eine interessante Analyse, besser geschrieben und vor allem fehlt nicht die Hälfte.

    Um es kurz zu machen: Der BGH hat zwar die Einstufung von KO-Tropfen als gefährliches Werkzeug abgelehnt, und das deswegen als Rechtsfehler zurück verwiesen, aber in der anderen Richtung auch sehr deutlich gemacht, wo alternative Spielräume bestehen und dem LG Dresden im Prinzip eine Anleitung gegeben, wie sie am Strafmaß überhaupt nichts ändern müssen: Der BGH nennt ausdrücklich, dass statt §177, Absatz 8, Punkt 1 (“Waffe oder ein anderes gefährliches Werkzeug verwendet”), auch der identisch bedrohte §177, Absatz 8, Punkt 2b (“[das Opfer] durch die Tat in die Gefahr des Todes bringt”) und äußert sich fast überrascht, dass das LG diese Interpretation nicht verwendet hat:

    Denn nach den Feststellungen liegt es jedenfalls nicht fern, dass der Angeklagte auch die Qualifikation des § 177 Abs. 8 Nr. 2b StGB (Herbeiführung einer konkreten Todesgefahr für das Opfer) verwirklichte.

    Hinzu kommt der Verweis, dass der Unstrittig erfüllte §177, Absatz 7 („[wenn der Täter] sonst ein Werkzeug oder Mittel bei sich führt, um den Widerstand einer anderen Person durch Gewalt oder Drohung mit Gewalt zu verhindern oder zu überwinden“) die selbe Höchststrafe als Androhung hat und die Einstufung als Werkzeug daher auch nicht nötig ist um das Strafmaß zu erreichen:

    Denn es ist dem Tatgericht unbenommen, solche Taten, in denen der Täter – wie hier – ein sehr gefährliches und in seiner konkreten Wirkungsweise, gerade in Kombination mit erheblichen Mengen Alkohol, kaum zu kontrollierendes Mittel im Sinne des § 177 Abs. 7 Nr. 2 StGB bei sich führt und sogar für die Tatbegehung einsetzt, bei der Strafzumessung entsprechend zu würdigen. Der Gesetzgeber hat bei den Strafobergrenzen in den Strafrahmen des § 177 Abs. 7 und 8 StGB keinen Unterschied gemacht (§ 38 Abs. 2 StGB).

    Ferner wird darauf verwiesen, dass § 224 Abs.1 (gefährliche Körperverletzung) in den Punkten 1 (durch Beibringung von Gift oder anderen gesundheitsschädlichen Stoffen), 3 (mittels eines hinterlistigen Überfalls), und 5 (mittels einer das Leben gefährdenden Behandlung) erfüllt, der mit Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu zehn Jahren bedroht wird.

    Das nächste ist dann dieser Kracher:

    Zwar hat das Landgericht in der Beweiswürdigung ausgeführt, dass es nur von einer „jedenfalls“ abstrakten Lebensgefahr ausgegangen ist. Dies steht aber in einem Spannungsverhältnis zu den rechtsfehlerfrei getroffenen Feststellungen zur Auffindesituation. Danach bestand bei der Nebenklägerin „aufgrund der starken Bewusstseinseintrübung und der Übelkeit das Risiko des Erstickens durch Bewusstlosigkeit wie das Rutschen der Zunge in den Schlund oder durch das Aspirieren von Fremdkörpern infolge Erbrechens“. Es erscheint danach nicht ausgeschlossen, dass dieses Risiko im zweiten Rechtsgang als eine konkrete Todesgefahr bewertet werden kann. Dies gilt auch in subjektiver Hinsicht: Denn nach den Feststellungen war dem Angeklagten bewusst, dass die Verabreichung der Tropfen, insbesondere in Verbindung mit Alkohol, erhebliche gesundheitliche Risiken bis hin zu einer Todesgefahr in sich barg. Das Verböserungsverbot steht einem Austausch des Qualifikationsmerkmals – gegebenenfalls nach entsprechenden Hinweisen (§ 265 Abs. 1 StPO) – nicht entgegen (BGH, Beschluss vom 1. Dezember 2020 – 4 StR 519/19 Rn. 7 mwN).

    Das liest sich für mich als Laiin in etwa so: „Warum zum fick sprecht ihr hier so ein mildes Urteil aus? Es ist echt bedauerlich, dass ihr es jetzt nicht mehr verschärfen dürft, hier ist warum ihr es zumindest behalten könnt!“

    Zum Schluss haben sie dann noch etwas, dass im Kontrast fast lustig ist:

    Der Senat weist ferner vorsorglich für die erneute Gesamtstrafenbildung darauf hin, dass die Einbeziehung der Geldstrafe aus dem Strafbefehl des Amtsgerichts Meißen nach § 55 Abs. 1 StGB rechtlichen Bedenken begegnen kann. Denn soweit das Amtsgericht den Angeklagten wegen „unerlaubten“ Besitzes von Betäubungsmitteln zu einer Geldstrafe von 50 Tagessätzen zu je 50 Euro verurteilt hat, weil er vorsätzlich in seinem Wohn- und Schlafzimmer knapp 38 Gramm Marihuana mit durchschnittlicher Qualität aufbewahrte, ist diese Tat nach dem seit dem 1. April 2024 geltenden KCanG (BGBl. I 2024 Nr. 109) nunmehr möglicherweise straflos, denn der Angeklagte durfte gemäß § 3 Abs. 2 Nr. 1 KCanG als Volljähriger an seinem Wohnsitz bis zu 50 Gramm Cannabis zum Eigenkonsum besitzen.

    Nach Art. 313 Abs. 1 EGStGB, den Art. 316p EGStGB für entsprechend anwendbar erklärt, werden rechtskräftig verhängte Strafen wegen solcher Taten, die nach neuem Recht nicht mehr strafbar und auch nicht mit Geldbuße bedroht sind, mit Inkrafttreten des neuen Rechts erlassen, soweit sie noch nicht vollstreckt sind. Der Straferlass nach Art. 313 Abs. 1 EGStGB tritt kraft Gesetzes ein. Das neue Tatgericht wird daher ergänzend auch zu prüfen haben, ob der Angeklagte das Marihuana nur zum Eigenkonsum besaß (vgl. hierzu OLG Stuttgart,StV 2024, 601 f.).

    Es muss halt alles seine Ordnung haben, auch wenn es nur um 2500€ neben einer mehrjährigen Gefängnisstrafe geht! 😄

    • Saleh
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      7 days ago

      Danke. Der Kontext ist hier essentiell, und es nervt, dass bestimmte Journalisten, deren Aufgabe eigentlich ist, sowas herauszuarbeiten, dazu zu faul oder zu blöd sind. Gerade wenn es um Gerichtsentscheidungen geht finde ich LTO regelmäßig die einzige sinnvolle Quelle, weil da Fachleute die Urteile in Gänze lesen und interpretieren.

    • muelltonneOP
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      7 days ago

      Danke für den ausführlichen Beitrag. Wenn ich könnte, würde ich dich direkt dem Spiegel als Rechts-Journalist empfehlen, denn das war viel erhellender und besser als der gesamte Artikel und macht plötzlich auch Sinn

  • Samsy@lemmy.ml
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    8 days ago

    Völlig logisch, man geht ja nur K.O.

    Viel schlimmer sind natürlich Tod-Tropfen. /s

  • Lemmchen
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    8 days ago

    Ich nehme mal an, das gefährliche Werkzeug soll dazu dienen Schaden zuzufügen oder einzuschüchtern. In dem Fall greift die Definition bei GHB/GBL tatsächlich nicht. Trotzdem sollte der Einsatz solcher Mittel eine besondere Schwere rechtfertigen.

    • Tiptopit
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      8 days ago

      Das wäre dann wohl wirklich mal eine Sache, wo man die Gesetze nachschärfen müsste

      • Fiona@discuss.tchncs.de
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        8 days ago

        Der BGH macht hier sehr deutlich warum das nicht nötig ist und bessere Begründungen genügen um die selbe Strafe zu erteilen.

  • 5715
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    8 days ago

    Ein Gegenstand sei ein fester Körper. Dementsprechend könnten Flüssigkeiten, wie hier die GBL-Tropfen, nicht als Werkzeug bewertet werden.

    Halt den Mund.

    • Scipitie@lemmy.dbzer0.com
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      8 days ago

      Wieso? Machen es doch richtig: Das ist der Gesetzestext, hier die Bedeutung, dieses Thema gehört nicht in diese Schublade.

      Hier muss der Gesetzgeber nachbessern, nicht das Gericht.

      Bitte nicht aus Versehen die Gewaltenteilung untergraben, nur will ein (naja eher zwei) Arme ihren Job nicht in unserem Sinne machen…

      • 5715
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        8 days ago

        Ein flüssiger Gegenstand kann sehr wohl als Werkzeug eingesetzt werden.

        • Scipitie@lemmy.dbzer0.com
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          8 days ago

          Mir ging es um die Formulierung im Gesetz, dass das dem nicht folgen muss (fälschlicherweise, meiner Meinung nach). Die Relation dazu ist ja die Verwendung einer Waffe im Kontext physischer Gewalt. Das ist einfach zu wage formuliert, wenn der Text wäre “mittelbaren Einfluss auf die Gesundheit nimmt” oder ähnliches würde sich die Frage nicht stellen.

          Für die, die nicht selber suchen aber sich eine Meinung bilden wollen:

          (8) Auf Freiheitsstrafe nicht unter fünf Jahren ist zu erkennen, wenn der Täter

          1. bei der Tat eine Waffe oder ein anderes gefährliches Werkzeug verwendet oder

          2. das Opfer

            a) bei der Tat körperlich schwer misshandelt oder

            b) durch die Tat in die Gefahr des Todes bringt.

          Quelle https://www.buzer.de/177_StGB.htm

          • muelltonneOP
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            8 days ago

            Die wirkliche Frage ist, warum hier nicht automatisch 8.2 gilt. Eine Gabe von KO-Tropfen ist eine schwere körperliche Misshandlung und so Zeugs ist halt auch nicht vernünftig zu dosieren, wenn du weder das genaue Gewicht, irgendwelche Vorerkrankungen, sonstige Medikamenteneinnahmen kennst und auch kein ausgebildeter Narkosearzt bist. Das ist immer lebensgefährlich.

            • Fiona@discuss.tchncs.de
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              8 days ago

              Die wirkliche Frage ist, warum hier nicht automatisch 8.2 gilt.

              Wenn du das Urteil, statt dem das Urteil schlecht wiederkäuenden Bericht des Spiegels verlinkt und gelesen hättest, wüsstest du, dass sich der BGH das auch fragt und diese Frage sehr wenig subtil dem LG Dresden stellt. 😉

              • Scipitie@lemmy.dbzer0.com
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                7 days ago

                Nicht der OP, wollte nur danke sagen! Bin gar nicht auf die Idee gekommen, das Urteil selber zu lesen, warum auch immer…

          • 5715
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            8 days ago

            Absolut wild KO-Tropfen nicht als Waffe verstehen zu wollen (von denen)

            Bezeichnet werden Waffen unter anderem als Gegenstände, die dazu bestimmt oder geeignet sind, Lebewesen physisch (meist durch mechanische Einwirkung) infolge Verletzung oder Tod bzw. psychisch in ihrer Handlungsfähigkeit zu beeinträchtigen oder handlungsunfähig zu machen.

            • Fiona@discuss.tchncs.de
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              8 days ago

              Tropfen sind halt kein Werkzeug, wenn du dir bei dem selben Link den vorherigen Absatz ansiehst:

              (7) Auf Freiheitsstrafe nicht unter drei Jahren ist zu erkennen, wenn der Täter

              1. eine Waffe oder ein anderes gefährliches Werkzeug bei sich führt,

              2. sonst ein Werkzeug oder Mittel bei sich führt, um den Widerstand einer anderen Person durch Gewalt oder Drohung mit Gewalt zu verhindern oder zu überwinden, oder

              3. das Opfer in die Gefahr einer schweren Gesundheitsschädigung bringt.

              Die Höchstfreiheitsstrafe ist in beiden Fällen 15 Jahre.

    • muelltonneOP
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      8 days ago

      Dann wäre eine Wasserpistole mit extrem viel Power auch keine Waffe. Cool

      • Fiona@discuss.tchncs.de
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        8 days ago

        Dann wäre eine Wasserpistole mit extrem viel Power auch keine Waffe. Cool

        Doch, die Wasserpistole ist ein fester Gegenstand. Das Wasser, welches sie verschießt ist aber weder Waffe noch Werkzeug, was durchaus intuitiv ist.

        GLB ist ein Gift, kein gefährliches Werkzeug, das sind einfach zwei verschiedene Sachen und das Landgericht Dresden hat da einfach nicht sauber getrennt. Der BGH sagt jetzt zurecht, dass sie ihr Urteil anders begründen müssen und serviert ihnen die Begründung auf dem Servierteller.

          • Fiona@discuss.tchncs.de
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            7 days ago

            Ist tatsächlich eine spannende Frage, wenn du den Ballon als Werkzeug verwenden kannst (zum Beispiel um hydraulisch Kräfte aufzubauen) wäre das durchaus plausibel.

            Prinzipiell gilt hier halt wirklich: Frage dich ohne Kontext des konkreten Falles ob du den fraglichen Gegenstand im Alltagsgebrauch als Werkzeug bezeichnen würdest oder du dir einen Fall vorstellen kannst, bei dem du ihn als Werkzeug einsetzen würdest. Entgegen anders lautender Gerüchte ist die von Gerichten verwendete Sprache tatsächlich relativ normales Deutsch (es gibt ein paar Ausnahmen wo einzelne Begriffe ungewöhnlich definiert werden, zum Beispiel “grundsätzlich” (juristisch: im Grundsatz, von dem aber abgewichen werden kann)) und wenn du eine Begriffsdefinition absurd findest, dann kann das ein Hinweis sein, dass sie das auch juristisch wäre.