Neun Angeklagte und keine einzige Verurteilung: Das ist die Bilanz des ersten Prozesses gegen eine Gruppe von Neonazis, die in Chemnitz Jagd auf politische Gegner gemacht hatte. Unter den Attackierten waren SPD-Mitglieder aus Marburg.
“Ich hatte noch nie so ein Panikgefühl”, erinnerte sich die junge Frau. “So ein krasses Gefühl der Unsicherheit.” Die Studentin war am 1. September 2018 von Marburg nach Chemnitz gereist, um ein Zeichen gegen rechts zu setzen. Es war der Tag des großen Schulterschlusses von AfD, Pegida und militanter Neonazi-Szene, als nach dem tödlichen Messerangriff eines Geflüchteten Tausende Rechte in der sächsischen Großstadt aufmarschierten.
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Ein Mann, der einzige mit Migrationshintergrund in ihrer Gruppe, sei gejagt worden. Andere wurden geschubst und geschlagen. Bereits zuvor hatten die Rechtsextremen auch andernorts in der Stadt Menschen angegriffen und verletzt, die sie für ihre Gegner hielten, begleitet von Schlachtrufen wie “Adolf Hitler Hooligans”.
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Nach acht Verhandlungstagen endete am Freitag in Chemnitz der erste von drei Prozessen, in die die Anklagebehörde den Komplex aufgeteilt hat – und es konnte nach der Beweisaufnahme mit den erschütternden Aussagen der zahlreichen Betroffenen kein Zweifel mehr bestehen, dass die Hetzjagd so stattgefunden hatte wie von der Staatsanwaltschaft angenommen. Dennoch wurde niemand verurteilt.
Statt ursprünglich neun Angeklagten saßen am Ende gerade noch drei auf der Anklagebank, die Staatsanwalt Thomas Fischer lediglich als “Mitläufer” einstufte. “Ich gehe nicht davon aus, dass sie Rädelsführer waren oder massiv am Geschehen beteiligt waren”, sagte der Anklagevertreter am Freitag und bot an, das Verfahren gegen Zahlung von Geldauflagen einzustellen.
Einzige Voraussetzung: ein Geständnis. Nach kurzer Bedenkzeit gingen Timo B. (30) aus Braunschweig, Mark B. (26) aus Rostock und Marcel W. (44) aus Chemnitz darauf ein. Über ihre Verteidiger räumten sie in dürren Worten ein, dabei gewesen zu sein, aber selbst nicht zugeschlagen zu haben. Bedauern über die Tat oder Distanzierung von der rechten Szene? Fehlanzeige.
Verfahren gegen Zahlung von 1.000 Euro eingestellt
Marcel W. hatte bei der Polizei noch recht freimütig zugegeben, dass die Gruppe “auf der Suche nach Antifa-Leuten” gewesen sei und dass er als Ortskundiger den Weg gewiesen habe. Nicht einmal das wiederholte er jetzt. Dem Gericht jedoch reichten diese Geständnisse. Gegen Zahlung von jeweils 1.000 Euro für gemeinnützige Zwecke würden die Verfahren eingestellt, verkündete Strafkammervorsitzender Jürgen Zöllner.
Die gleichen Konditionen hatte das Gericht am zweiten Verhandlungstag schon Rico W. (34) aus dem Erzgebirge gewährt, der von sich aus seine Tatbeteiligung gestanden hatte – verbunden mit der Beteuerung, auf keinen Fall rechtsextrem zu sein: “Ich gehöre zu keiner Neonazigruppe, ich war ein besorgter Bürger.”
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Und sein Kampfsportkumpel Pierre B. (31), verurteilter Gewalttäter und gescheiterter Oberbürgermeisterkandidat der neonazistischen Kleinstpartei “Die Rechte” in Braunschweig, befand sich wegen angeblicher Suizidgefahr in der Psychiatrie. Im Internet sollen zum Jahreswechsel allerdings Bilder aufgetaucht sein, die ihn bei einer Silvesterfeier mit seinem Braunschweiger Gesinnungsgenossen Lasse R. (25) zeigen.
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Eine Entschuldigung oder Erklärung bekam weder sie noch irgendein anderer der Betroffenen. Richter Zöllner verlor kein Wort über die lange Verfahrensdauer, auch nicht, als er die Verfahrenseinstellung verkündete. Von einem “demokratischen Totalausfall des Gerichts” sprach Nebenklageanwältin Kati Lang im Anschluss.
Auch der Verband der Beratungsstellen für Betroffene rechter, rassistischer und antisemitischer Gewalt (VBRG) reagierte mit scharfer Kritik. “Die fatale Botschaft dieser verschleppten Strafverfolgung ist leider kein Einzelfall”, erklärte Sprecherin Heike Kleffner. “Hier zeigt sich, dass Menschen, die sich Neonazis und rassistischen Mobilisierungen entgegenstellen, nicht auf eine konsequente Strafverfolgung hoffen können, wenn sie dabei angegriffen werden.”
Man kann es nur immer wieder sagen: 100 Jahre Gumbel und es hat sich nichts in diesem Staat geändert.
Würde mich nicht wundern, wenn der gemeinnützige Verein, an den das Geld gespendet wird, auch von Rechten betrieben würde.
Ich denke wir sehen jetzt die Gegenwehr der Rechtsextremen Strukturen. Für mich liest sich das Vorgehen der Staatsanwaltschaft wie eine Machtdemonstration gegen die Zivilgesellschaft. Die Botschaft soll sein, dass es bereits zu spät ist, weil der Staat in Ländern wie Sachsen bereits unterwandert ist.
wahrscheinlich erklärt das auch das eher zögerliche Vorgehen gegen AfD, JAfD und Co. - die haben halt mittlerweile echt Angst, dass es auch ihnen an den Kragen geht, sie aufgrund Verstoß gegen das Neutralitätsgebot ihren Job und ihr Beamtenverhältnis gleich mit los wären, somit keine Altersvorsorge mehr und kurzerhand selbst zu dem Bürgergeldempfängern, gegen die sie so gern hetzen, gehören würden.
Macht so langsam alles Sinn…
So rettet man die Demokratie und schützt den Bürger … nicht. Es entsteht doch irgendwie der Einruck, dass der Richter (Edit: Und/Oder die Staatsanwaltschaft) der Ideologie der Angeklagten nicht ganz vorurteilsfrei gegenübersteht, um es einmal vorsichtig zu formulieren.
ist btw. nicht nur in solchen Fällen zu beobachten.
Ich hab auch schon etliche Verfahren gehabt, wo es Radfahrer vs. Autofahrer ging. Es gab ETLICHE Zeugen, die belegt haben, dass der Autofahrer der “Täter” war. Dennoch meinten Staatsanwaltschaft und Richter, dass man da nix machen müsste, da ja alles in Ordnung gewesen sei und ja schließlich keiner (ernsthaft) verletzt wurde.
Der moralische Kompass von Polizei, Staatsanwaltschaft und etlichen Richtern ist per se EXTREM hart verbogen wie es scheint…
An der Stelle Grüße an die Staatsanwaltschaft Augsburg, die für ihre unparteiischen und unumstrittenen Urteile bekannt ist.
https://de.wikipedia.org/wiki/Staatsanwaltschaft_Augsburg#Öffentliche_Kritik_an_der_Arbeitsweise
zwar kein Wikipedia-Artikel dazu, aber die Staatsanwaltschaft Köln sowie das zugehörige Landgericht bekleckern sich auch nicht unbedingt mit Ruhm.
- CumEx-Prozess vor die Wand gefahren
- Ermittlungen gegen RWE verweigert
- Ermittlungen gegen die AfD behindert
- Missbrauchsfälle in der katholischen Kirche nicht aufgenommen und nicht diesbezüglich ermittelt
- massenhaft Akten vernichtet
- durchweg fragwürdige Urteile bezüglich Onlinedurchsuchung, Adblockerverbote
- etc.
da wundert es auch nicht, dass bspw. ein Maaßen sehr gern mit dem Landgericht Köln zusammengearbeitet hat.
In Sachsen zeigt sich leider regelmäßig, dass Polizei, Staatsanwaltschaft und Justiz massiv von Rechtsextremen unterwandert sind. Das wurde so von der CDU über zwei Jahrzehnte toleriert und gefördert.
Man müsste die Exekutive des Freistaats komplett unter Bundesaufsicht stellen, und politische Verfahren grundsätzlich aus der Kontrolle des Freistaats entziehen. Stattdessen lobt Innenministerin Faeser, die “Soko-Linx” die mit vier Dutzend ermittlern nach Jahren eine einzige verurteilung erwirkt hat, von der jetzt klar geworden ist, dass der Kronzeuge von polnischen Neonazis zusammengeschlagen wurde, vermutlich auf Geheiß eines AfDlers mit Verbindung zur ermittelnden Staatsanwaltschaft.
Geschichte wiederholt sich.
Und man vertraut auch nicht auf Staat und Polizeiapparat Weil der Verfassungsschutz den NSU mit aufgebaut hat Weil die Polizei doch selbst immer durchsetzt von Nazis war Weil sie Oury Jalloh gefesselt und angezündet haben
Ja, die Botschaft dieses Nicht-Verfahrens fügt sich ins Bild, das man schon kennt aus dieser Region. Nach den 9 Jahren Vorbereitung, hätte ich mir ein anderes Ergebnis gewünscht, als die Verfahrenseinstellung.