Der Eklat auf dem Parteitag der Linken steht nicht für ein Problem mit Antisemitismus. Er ist Ausdruck von Kompromisslosigkeit und einem Machtkampf.

Wurde der Holocaust geleugnet? Sind Juden als Strippenzieher verunglimpft worden? Durfte ein Vertreter der Hamas ein Grußwort halten? Man könnte all das annehmen, wenn man sich die öffentliche Empörung über den „Antisemitismusskandal“ auf dem Landesparteitag der Berliner Linken am Wochenende anschaut. Es passt ja auch ins Bild: Antisemitismus wird in bürgerlichen Kreisen inzwischen vor allen als linkes und migrantisches Problem markiert. Wenn sich Linke über Nahost zerlegen, muss demnach Antisemitismus und linksradikaler Israel-Hass dahinterstehen.

Doch wer einen genauen Blick auf den Parteitag und die Streitparteien wirft, muss zu einem anderen Schluss kommen: Es gab keinen Antisemitismusskandal. Stattdessen gab es einen Kampf um Begrifflichkeiten und die jeweils für angemessen betrachtete richtige Priorisierung – eine klassisch linke Debatte, wie sie tausendfach geführt und meist gescheitert ist. Blinde Einseitigkeit; stereotype Zuschreibungen, gar Menschenfeindlichkeit waren nicht Gegenstand der Anträge und Änderungswünsche.

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Nicht Antisemitismus hat diesen Parteitag ausgezeichnet, sondern die Unfähigkeit zum Kompromiss. Dahinter steht auch ein Machtkampf, den der einst tonangebende Lederer-Flügel verloren hat. Verloren hat dabei die ganze Linke.