Deutschland hat die mit Abstand niedrigste Schuldenquote unter den großen Industrienationen: Die Regierung arbeitet sich an einem Thema ab, das eigentlich keines ist.
Deutschland ist im internationalen Vergleich nicht überall vorne. Bei der Bildung nicht, bei der Qualität der öffentlichen Infrastruktur nicht. Beim Fußball sowieso nicht. Nur bei den Schulden, da macht uns niemand etwas vor. Wir haben nämlich in Wahrheit nicht so viele davon. Jedenfalls im Vergleich mit anderen Ländern.
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Hier ein paar Zahlen: Die deutsche Staatsschuldenquote betrug im vergangenen Jahr 66,5 Prozent des Bruttoinlandsprodukts, die britische 102,6 Prozent, die französische 111,1 Prozent, die amerikanische 121,7 Prozent, die japanische 261,3 Prozent. Deutschland hat unter den in der Gruppe der G7 zusammengeschlossenen führenden westlichen Industrienation die niedrigste Schuldenquote. Sie haben richtig gelesen: die niedrigste. Nicht die höchste. Und die weiteren Aussichten sind ebenfalls nicht sonderlich beunruhigend: Bis zum Jahr 2028 wird diese Quote nach Vorhersagen des Internationalen Währungsfonds auf 57,5 Prozent sinken. Sie fiele damit unter den Richtwert von 60 Prozent, der im Vertrag von Maastricht – dem Gründungsdokument der Währungsunion – festgelegt ist.
Jetzt kann man lange darüber streiten, ob es nicht besser wäre, wenn die Schulden noch niedriger wären. Vielleicht, das ist ein bisschen Ansichtssache. Andererseits wäre die Bahn vielleicht heute pünktlicher, wenn in den vergangenen Jahren nicht ständig gespart worden wäre. Und vielleicht wären dann auch die Schulen in einem besseren Zustand. Aber wofür der Staat das Geld ausgibt, ist das Ergebnis einer politischen Prioritätensetzung. Und in einer Demokratie werden Politiker gewählt. Insofern hat jedes Land vielleicht die Infrastruktur, die es verdient.
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Deutschland hat ein Schuldenbremsenproblem
Aus einer rein ökonomischen Perspektive allerdings hat Deutschland vielleicht ein Schuldenbremsenproblem, aber kein Schuldenproblem. Wenn Christian Lindner jetzt eine Haushaltssperre verkündet, dann hat das wenig damit zu tun, dass der Staat nicht mehr über genug Geld verfügt. Lindner könnte sich jederzeit problemlos einen zweistelligen Milliardenbetrag borgen. Die Schuldenquote würde sich dadurch vielleicht im Nachkommabereich verändern. Wir wären aber immer noch Sparweltmeister. Mit großem Abstand.
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Die traurige Wahrheit ist: Die Regierung droht sich gerade, an einem Problem zu zerlegen, das es eigentlich nicht gibt. Dieses Schauspiel muss schnell beendet werden. Es gibt genug Probleme, die es gibt.
Danke für den Artikel. Es ist echt zeitweise eine unglaubliche Hürde, dass so viele Leute ihr eigenes Giro Konto mit dem Staatshaushalt gleich setzten. Auch hier wieder gefühlt 50% der Kommentare mit diesem Narrativ (in prominenten Medien ganz zu schweigen). Die Frage sollte doch nicht sein ob man Schulden macht, sondern wofür und was für ein Ergebnis man von dem eingesetzten Geld erwartet.
Ich glaube das Narrativ des Girokontos oder der schwäbischen Hausfrau wird doch wieder auch nach dem Schema eingesetzt: einfache Lösungen für komplexe Probleme. Das war doch schon immer das Ding von Konservativen bzw. rechten Parteien. Das komplette Volkswirtschaften so nicht funktionieren, lernt man eigentlich schon im Grundlagenmodul VWL. Und im Artikel wird ja auch schön dargestellt, dass in anderen Ländern die Schuldenquote bei weitem höher liegt und man trotzdem handlungsfähig bleibt. Selbst Firmen funktionieren heute nicht mehr nach diesem Prinzip und vor allem Start-ups können eine höhere Cash-Burn-Rate aufrecht erhalten, solange die weitere Unternehmensfinanzierung sichergestellt wird. Warum also soll das auch nicht für uns als Bundesrepublik gelten? Aber gerade in Deutschland, dem Girokontoland Nummer 1 scheint man es mal wieder besser zu wissen.
Neun von zehn Startups gehen auch in kürzester Zeit wieder insolvent.
Was ich ehrlich gesagt nicht als Nachteil sehe. Scheitern gehört nunmal dazu. Und Investoren wissen das auch. Solange das 10. Unternehmen, in das man investiert hat, alles kompensiert und außerdem noch ein Bonus bekommt, ist doch alles super.
Ja, nur dass der Staat kein Start-up ist und auch keines sein darf.
Der Staat sollte klar definierte Aufgaben haben, um die er sich kümmern muss. In meinen Augen gehört “Spekulationen über die Zukunft anstellen” und “Innovationen vorantreiben” nicht dazu.
Dem würde ich klar wiedersprechen wollen! Gerade Forschungsinstitute wie die Max-Planck-Gesellschaft, Fraunhofer etc. tun nichts anderes als überwiegend aus staatlichen Zuschüssen Innovationen und Grundlagenforschungen voranzutreiben. Die Firma Biontech ist das beste Beispiel für so eine positive Entwicklung, die eben mal eine komplette Stadt schuldenfrei machen konnte, finanziert am Anfang durch den Steuerzahler.
Aus meiner Sicht MUSS der Staat vor allem in die Zukunft investieren (Bildung, Infrastruktur, neue Energieformen etc.) um nicht nur wettbewerbsfähig auf dem Weltmarkt zu sein, sondern eben auch dadurch durch mehr Steuereinnahmen wieder Gewinn herauszuschlagen.
Und dann frag Mal die Leute was schlauer ist. 40 Jahre Miete zahlen und etwas sparen um ein Haus zu kaufen oder schulden machen und den Kredit zahlen und gleich das Haus zu kaufen
@Haven5341 Solange der Posten der Zinszahlungen einmal wahlweise unsere Bildungs oder Verteidungsausgaben verdoppeln könnte wenn wir ihn nicht für Zinsen ausgeben müssten, habe mindestens ich ein Problem mit den Schulden die dieser Staat macht.
Es pisst mich an das 10% meiner Steuern an irgendeinen Geldsack gehen.
Es ist mir vollkommen klar das jeder Hansel lieber neue Schulden aufnimmt als sich darüber zu streiten was man kürzt.
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wäre es dir lieber, dass deine Steuerzahlungen keine Zinsen tilgen, du dafür aber nur ein Viertel deines jetzigen Lohns bekommst?
staatliche Investitionen sind im hohen Maß entscheidend für die wirtschaftliche Entwicklung eines Landes. Du verkürzt den Wert der Investition, der ja mehr ist, als nur die gezahlte Geldsumme. Entscheidend ist, wie die Rückläufe sind, und ob die Summe der Rückläufe die Kosten für Zinsen und Tilgung überschreiten.
Insofern wäre dann auch der Bildungshaushalt einfach noch kleiner als jetzt, weil es garnicht das Steueraufkommen gäbe, um es zu finanzieren.
@tryptaminev Ja, wäre mir lieber.
Mir wäre es auch lieber wenn sich der Bildungshaushalt tatsächlich auf die Bildung konzentrieren würde und nicht 90% davon tatsächlich an irgendwelche private Forschung gehen würde.
Das hat nur wenig mit der Frage ob Staatsschulden sinvoll sind zutun.
@Haven5341 Außerdem geht das große demokratische Experiment nach “dem Sieg” gegen den Kommunismus gerade in die Nachspielzeitt.
Die sind nämlich an ihren explodierenden Kosten für Rüstung und importen zu Grunde gegangen. Die Proteste und der Umsturz kamen nur weil das System wirtschaftlich am Ende war. Ob es uns genauso geht ist noch nicht raus.
Es hilft mir genau gar nichts wenn Deutschland 10 Jahre länger macht als der restliche Westen weil wir “vergleichsweise wenig” Schulden haben.
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Danke dass das mal jemand sagt. Wir müssen langfristig denken. Ein System, das auf einem ins unendliche wachsenden Schuldenberg aufgebaut ist, wird keine Zukunft haben.
In der Sicht der DDR-Wirtschaftspolitiker bestand die einzig realistische Möglichkeit für Einsparungen darin, Investitionen beispielsweise in der Energiewirtschaft oder in die Infrastruktur aufzuschieben. Das hatte jedoch negative Effekte beispielsweise auf die Arbeitsproduktivität. https://www.bpb.de/themen/deutsche-einheit/lange-wege-der-deutschen-einheit/47076/die-wirtschaft-in-der-ddr/
Das ist der Punkt an dem wir auch gerade stehen, nicht?
Was macht dich so sicher, dass wir ohne Investitionen in der Vergangenheit dieses hohe Steueraufkommen hätten?
@kellerlanplayer Was? Es geht ja nicht darum die Ausgaben zu reduzieren. Es geht darum sie zu verschieben.
Denk mal mit einem Zeithorizont von mehr als 4 Jahren.
Macht es mehr Sinn eine Ausgabe über 30 Jahre mit Kredit zu finanzieren, zu 110% Kosten, oder macht es mehr Sinn eine Ausgabe über 30 Jahre zu finanzieren, aber direkt, zu 100% Kosten?
Die Zinsen fließen einfach nur ab. Das ist keine “Investition”, es sei denn du glaubst an trickle down economics.
Macht es mehr Sinn eine Ausgabe über 30 Jahre mit Kredit zu finanzieren, zu 110% Kosten, oder macht es mehr Sinn eine Ausgabe über 30 Jahre zu finanzieren, aber direkt, zu 100% Kosten?
Geld, das du heute ausgeben kannst, ist mehr wert, als Geld, das du erst in 30 Jahren ausgibst. Das nennt sich Inflation.
Außerdem wirken sich Investitionen üblicherweise positiv auf die Wirtschaftsleistung aus. Selbst böse “Konsumausgaben” wie Sozialleistungen erhöhen die Kaufkraft und kurbeln die Binnenkonjunktur an. Das ist nicht direkt vergleichbar mit Privatausgaben ohne “Business Case”. Außer vielleicht Subventionen wie die letzten Förderprogramme zur E-Mobilität, die einfach nur Mitnahmeeffekte triggern.
Jo, Inflationsbereinigt 100 bzw. 110%. Es gibt dir niemand einen Kredit der weniger Zinsen abwirft als Inflation. Besonders jetzt nicht.
Punkt zwei, Ja, außer die Sozialleistung fließt über zwei Ecken in die Taschen des Vermieters oder der Besitzer von Aldi oder Lidl.
Außerdem will ich ja gar nicht “weniger”, es soll halt nicht über den Umweg des Kredits gehen. Mach die 10 Milliarden Infrastruktur halt nicht dieses Jahr sondern über die nächsten 10 Jahre. Und dann immer mehr.
ehm doch? Deutsche Staatsanleihen hatten jahrelang sogar Negativzins.
Staatsanleihen erfüllen eine andere Rolle im Finanzsystem als die klassischen Investitionskredite oder gar Konsumkredite.
Es kommt auf die (volkswirtschaftliche)Rendite des Projekts an. Wenn wir uns vor X Jahren nicht für Infrastruktur verschuldet hätten, wäre das BIP vielleicht jetzt nur bei 3,5 MRD und deine 30 MRD gäbs gar nicht zum Ausgeben. Darum gings mir.
Das hat nichts mit Trickle Down Economics zu tun.
Es pisst mich an das 10% meiner Steuern an irgendeinen Geldsack gehen.
Der Realzins ist negativ
ja, leider. Die Inflation ist viel zu hoch. Jedenfalls kann man sich nicht darauf verlassen, dass es ein Naturgesetz gibt, das sagt “du brauchst deine Schulden nicht zurückzahlen, weil wenn du es nicht machst, dann verschwinden sie schon von alleine”.
Das ist die gleiche Denkweise, wie wenn man seinen Teller nicht abwäscht, weil es dann der WG-Kollege machen wird.
Wenn Staatsschulden zurückgezahlt würden gäbe es richtig Probleme. Staatsanleihen sind sind ein wichtiges Element des Finanzsystems
Können wir mal ehrlich darüber diskutieren, was die Vor- und Nachteile einer Schuldenaufnahme sind? Es würde mich ernsthaft interessieren. Meine Milchmädchenrechnung sagt, dass es unverantwortlich ist, mehr auszugeben, als man einnimmt. Aber vielleicht gibt es irgendwelche Volkswirtschaftlichen Gründe / Finanztrickereien, die ernsthaft begründen, warum das für den Staat nicht gilt?
Vorteile einer Schuldenaufnahme:
- Kurzfristig (!) mehr Geld zur Verfügung
.
Nachteile einer Schuldenaufnahme:- Spätere Generationen müssen sie zurückzahlen
- Zusätzliche Zinslast.
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Worauf wartet man da? Darauf, dass die Inflation die Schulden auffrisst? Und warum würde das nicht funktionieren, wenn ein Individuum das versucht?Wenn du Schulden nur aufnimmst, um Wahlgeschenke wie das Baukindergeld oder die Renten zu erhöhen zu machen, hilft das relativ wenig, ja.
Wenn du für 6 % Schulden aufnimmst für 30 Jahre, um die Bahninfrastruktur die nächsten 50 Jahre zu sanieren und das einen jährlichen BIP Wachstum von 2 % macht und wenn du es nicht machst, das BIP um 5 % schrumpft, dann ist es eine sinnvolle Investition.
Klüger wären halt Schuldenaufnahme für Infrastruktur gewesen, als wir noch Geld fürs Leihen bekommen haben. Dann müssen spätere Generationen sie zwar zurückzahlen, aber sie machen auch Gewinn mit der Investition.
Worauf wartet man da? Darauf, dass die Inflation die Schulden auffrisst? Und warum würde das nicht funktionieren, wenn ein Individuum das versucht?
Das funktioniert nur mit langer Zinsbindung.
Unternehmen finanzieren auch gerne mit Fremdkapital. Denn wenn du eine Rendite von 15 % hast, wärst du blöd, wenn du nicht Geld zu 8 % aufnimmst und es vermehrst.
Du kannst als Privatperson einen Kredit aufnehmen, in irgendetwas investieren, was die Zinsrate deines Kredits übertriffst und machst damit Gewinn, fährst aber auch das Risiko einen größeren Verlust zu haben, wenn sich das Investment nicht auszahlt.
Bei Unternehmen sieht es ähnlich aus: Da werden Kredite aufgenommen, um mehr Mitarbeiter einzustellen/Produktkapazitäten zu erhöhen/R&D zu finanzieren und und und. Wenn du dadurch den Umsatz ausreichend steigerst, hast du alles richtig gemacht.
Investition in Bildung ist bei Staaten so das Paradebeispiel. Je höher der Bildungsgrad deiner Bevölkerung, desto bessere Jobs können sie bekommen und desto mehr Geld verdienen sie. Dadurch profitierst du als Staat durch höheres Steueraufkommen. Dieselbe Argumentation funktioniert auch für Migration: mehr Menschen können mehr erwirtschaften, dadurch fallen mehr Steuern für den Staat ab. Selbst bei Sozialausgaben an die Ärmsten der Gesellschaft kann man argumentieren, dass die sowieso ihr komplettes Einkommen verkonsumieren müssen, was wiederum teilweise in Steuern an den Staat zurückfließt. Das ist also ein kleineres Verlustgeschäft als wenn man Gelder an vermögende Personen ausschüttet, weil die das sehr wahrscheinlich auf ihrem Bankkonto oder in irgendwelchen Finanzinstrumenten parken.
Ok, ich verstehe, was du meinst. Investitionen können sich auszahlen, das ist ein valides Argument.
Dennoch bin ich kein Fan davon, Dinge, die eigentlich nicht überraschend kommen, und jedes Jahr zu tätigen sind, wie Ausgaben im Gesundheitsbereich oder Bildung oder Sozialleistungen oder Infrastruktur aus Schulden zu finanzieren. Dieser Denkweise liegt nämlich zugrunde, dass wir ein wachsendes BIP und damit in Zukunft mehr Steuereinnahmen haben. Aber ich glaube nicht an ein weiteres Wirtschaftswachstum.
Ganz im Gegenteil, vieles von dem, was in den letzten zwanzig Jahren gemacht wurde, begeistert mich nicht. Man denke daran, dass die Reichen immer reicher werden, die Armen immer ärmer, und sich dieses Problem auch durch Wirtschaftswachstum nicht ändern lässt. Ganz im Gegenteil, die Schere geht immer weiter auf. In meinen Augen brauchen wir eine ehrliche Reflektion darüber, wo wir als Gesellschaft hinwollen, und wie wir dorthin kommen, ohne nur dumm den Zahlen und dem Wirtschaftswachstum hinterherzulaufen.
Dennoch bin ich kein Fan davon, Dinge, die eigentlich nicht überraschend kommen, und jedes Jahr zu tätigen sind, wie Ausgaben im Gesundheitsbereich oder Bildung oder Sozialleistungen oder Infrastruktur aus Schulden zu finanzieren.
Darum geht es in der Diskussion doch überhaupt nicht. Du führst hier einen Kampf gegen Windmühlen. Natürlich sollten konsumtive Ausgaben aus dem Steuer- und Abgabenaufkommen finanziert werden. Dagegen hat doch niemand etwas. Es geht um Investitionen in die Zukunft, die von dieser dämlichen Schuldenbremse, die offenbar auch noch keinerlei wissenschaftliche Begründung hat, verunmöglicht werden.
Seit dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts zum Klima- und Transformationsfonds wird verstärkt über die Schuldenbremse diskutiert. Abschaffen oder beibehalten, wofür plädieren Sie?
Auf diese Alternative lasse ich mich nicht ein. Ich will die Schuldenbremse nicht abschaffen, sondern reformieren. Die öffentliche Diskussion krankt genau an dieser zugespitzten Fragestellung. Schon ein kritischer Hinweis wird von den Gralshütern der Schuldenbremse als Angriff auf den Grundgedanken gewertet. Natürlich brauchen wir eine Fiskalregel. Das Grundgesetz hatte auch immer eine. Das Grundgesetz von 1949 hatte eine Schuldenregel, das Grundgesetz von 1969 ebenfalls, und dann ist 2009 die jetzige in die Verfassung gekommen. Man muss nur fragen, ob sie ihre Aufgabe erfüllt und angemessen ist.
Ist sie das?
Aus meiner Sicht ist die Schuldenbremse in ihrer heutigen Form aus der Zeit gefallen. Die Beschränkung der Neuverschuldung auf 0,35 Prozent des Bruttoinlandsprodukts ist nicht begründet, weder theoretisch noch empirisch. Zudem muss sie in Einklang gebracht werden mit einem anderen Verfassungsgerichtsurteil, das es zwischenzeitlich gab - dem zum Klimaschutz.
[…]
Ihnen geht es ausdrücklich nicht darum, die Schuldenbremse zu lockern, um beispielsweise in der Sozialpolitik größere Spielräume zu schaffen.
Nein, um Gottes Willen - das darf natürlich keinesfalls passieren. Was aus dem normalen Haushalt zu finanzieren ist, muss aus dem normalen Haushalt mit Steuern und Abgaben finanziert werden. Das betrifft die Sozialpolitik wie auch andere konsumtive Ausgaben. Es beträfe eigentlich auch die Verteidigungsausgaben, nur haben wir bei der Bundeswehr das Problem, dass man 16 Jahre Unterfinanzierung nicht in einem Steuerhaushalt korrigieren kann.
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In diesem Jahr hat Deutschland allein für die Zinsen knapp 30 Milliarden Euro ausgegeben. Wird das nicht langsam zu teuer?
Die Frage ist nicht, wie hoch Schulden sind, sondern wie tragfähig sie sind. Die Schuldenstandsquote hat einen Zähler und einen Nenner: Im Zähler stehen die Schulden, im Nenner steht das Bruttoinlandsprodukt. Im letzten Jahr lag die Schuldenquote bei 66,3 Prozent - wir stehen also relativ gut da. Kein Unternehmen würde seine Investitionen nur aus dem Cashflow bestreiten. Wenn wir Investitionen allein aus dem Jahreshaushalt finanzieren, hieße das, dass die jeweilige Generation keinen Anlass hat, etwas zu tun, denn sie selbst hat davon ja keinen Nutzen. Für mich beispielsweise muss keine Transformation organisiert werden, ich bin 61, mit kann der Klimawandel völlig egal sein. Aber für meine Kinder und Enkelkinder ist das Thema wichtig. Es wäre zu kurz gedacht, Generationengerechtigkeit nur fiskalisch zu verstehen.
Union und FDP haben nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts betont, wie gut es sei, dass die Schuldenbremse nun gestärkt wurde. Ist damit nicht eigentlich klar, dass diese Diskussion politisch zum Scheitern verurteilt ist?
Das mag so sein, aber das werfe ich den beiden Parteien auch vor. Ich finde es intellektuell unwürdig, eine einmal zufällig gefundene Regel als heilige Veranstaltung zu bewerten. Die von Ihnen genannten Parteien berufen sich gern auf Ludwig Erhard oder auf Ordnungsökonomen wie Walter Eucken. Aber von denen hätte keiner so dürftig argumentiert, sie hätten immer gefragt: Passt die Regel in die Zeit? Ich bin der Meinung, dass wir diese Diskussion führen müssen. Sie nicht zu führen, hat uns genau dahin gebracht, wo wir jetzt stehen. Dieses Urteil ist ja nicht nur ein Desaster für die Regierung, sondern genauso für die klagende Oppositionspartei, die keine Antwort darauf hat, wie die Transformationsinvestitionen finanziert werden sollen. Eine ernsthafte, erwachsene Debatte muss doch ermöglichen, dass wir über eine Regel nachdenken, die in ihrer Zeit eine gute Begründung hatte. Dieses Tabu rund um die Schuldenbremse ärgert mich wirklich maßlos. Wenn Politik so stattfindet, dann ist sie am Ende.
Ich habe das Gefühl, dass wir uns im Endstadium des Kapitalismus befinden, und ein paar große Unternehmen noch das letzte Mal ein paar große Brocken einstecken wollen. Wenn die Schuldenbremse aufgehoben wird, dann bekommen sie diese großen Brocken. Darum machen sie einen Haufen Werbung in diese Richtung.
Ich denke aber, dass ein nüchterne und sachliche Beurteilung aus der Ferne zu dem unmittelbaren Schluss führen würde, dass eine Lockerung der Schuldenbremse genau das Gegenteil ist von dem, was wir brauchen. Ich merke hier schon, dass ich hier nicht gehört/verstanden werde, sei’s drum.
Edit: und ja, natürlich, erneuerbare Energien haben große Anfangskosten, da sollte man natürlich billige Kredite zur Verfügung stellen.
[…] da sollte man natürlich billige Kredite zur Verfügung stellen. Ich bin aber zuversichtlich, dass sie die am derzeitigen Markt sowieso in großen Mengen bekommen würden, weil das Risiko niedrig ist.
Hast du das schon den Banken und Unternehmen erzählt? Die scheinen davon noch nichts mitbekommen zu haben. Wir haben eine Hochzinsphase. Der Leitzins ist vor kurzem sogar noch mal erhöht worden.
Hohe Zinsen, schwache Konjunktur: Die Banken verleihen Geld zunehmend zögerlicher. Das bekommen insbesondere Unternehmen aus dem Mittelstand zu spüren.
[…]
Dennoch sind die neuesten Umfrageergebnisse etwas überraschend: Die Bundesbank hatte noch im Juli bei einer Umfrage Hinweise auf ein Ende der restriktiven Kreditvergabe erhalten. Die tatsächliche Entwicklung danach stehe dieser Erwartung jedoch diametral entgegen, heißt es in einem Bericht der KfW.
Die Gründe für die Zurückhaltung der Banken bei der Vergabe von Krediten an Unternehmen sieht die KfW sowohl im anhaltenden Zinsanstieg als auch in der sich verschlechternden wirtschaftlichen Stimmung und den gesenkten Konjunkturprognosen. So waren demnach zuletzt im Schnitt mehr als fünf Prozent Zinsen auf Unternehmenskredite fällig, während es im Dreimonatszeitraum von April bis Juni noch 4,7 Prozent gewesen waren.
Unternehmen in Deutschland kommen nur noch schwer an Kredite
Die Unternehmen haben Probleme an Kredite zu kommen.
Das sind valide Bedenken, aber gehen ein bisschen am Thema vorbei. Unser Geldsystem beruht auf Schulden: Damit irgendjemand etwas besitzen kann, muss irgendwer anderes Schulden haben. Ich bin ganz froh darüber, wenn das der Staat ist und nicht Privatpersonen. Aufgrund der Inflation muss der Schuldenberg eines Staates wachsen, wenn sich das Vermögen der Bevölkerung nicht verringern soll. Die Verteilung des Reichtums ist dann eine andere Frage.
Irgendwann wird es sicherlich den nächsten Crash geben und ich hoffe, dass man sich danach einem Systemwechsel versucht. Die Chance dafür ist leider nicht allzu hoch.
Es wird immer viel von Investitionen gesprochen, aber ich sehe nicht viel davon. Oft sind es nur Scheininvestitionen, von denen man nicht erwarten kann, dass sie sich in der Zukunft auszahlen. Das ist eigentlich die Definition einer (guten) Investition. Sie muss in der Zukunft mehr Geld einbringen, als man am Anfang ausgegeben hat + Zinsen.
Wenn man Geld als Investition ausgibt, sollte man auch sagen können, wann man wie viel Ertrag erwartet. Alles andere ist nur undurchsichtige Geldverschwendung.
Die Schuldenbremse finde ich gar nicht so schlecht. Sie erlaubt eine leichte Verschuldung, hat ein System für antizyklische Ausgaben und zwingt die Politik zu einer gewissen Zurückhaltung. Wenn man dann unbedingt Investitionen mit Schulden tätigen will, sollte man diese auch so gut begründen, dass man 67 Prozent des Parlaments überzeugen kann.
Solange es aber Dinge wie steuerfreies Kerosin gibt, man für irgendwelche unsinnigen Prestigeprojekte Geld verbrennt und sich bei Ausschreibungen durch unzureichende Anforderungen über den Tisch ziehen lässt, braucht man ohnehin keine weiteren Schulden. Ein paar vernünftige Änderungen im Bundeshaushalt sollten völlig ausreichen.
Ich sehe das aktuelle Debakel eigentlich eher positiv. Natürlich wird das Geld jetzt etwas knapper. Aber die Regierung wird auch gezwungen sein, ihre Finanzen wirklich in Ordnung zu bringen. Unsinnige Ausgaben könnten gestrichen werden und man könnte dort Geld eintreiben, wo es längst überfällig ist. Das Land könnte das Ganze relativ unbeschadet überstehen und mit einigen bedeutsamen Verbesserungen in die Zukunft gehen.
Vielleicht bin ich da etwas zu optimistisch. Mal sehen, ob die FDP mitspielt…
Die 0,35% BIP Defizit, die die Schuldenbremse erlaubt sind einfach viel zu gering, erst recht im aktuellen Umfeld. Sie bietet auch kaum Spielraum, um angemessen auf Wirtschafts- und Strukturkrisen zu reagieren. Zum Vergleich, die USA fahren dieses Jahr ein Defizit von 7,3% BIP. Umgerechnet auf Deutschland wären das 300 Mrd. Euro Mehrausgaben jährlich. Angesichts dieser Zahlen, braucht man sich nicht wundern, dass es jenseits des Atlantiks deutlich höhere Wachstumsraten gibt, wenn der Staat solche Summen in die Wirtschaft pumpt. Vor allem wird es mit dieser Schuldenbremse auch schwer, bei dem aktuellen globalen Subventionswettlauf für Zukunftsindustrien mitzuhalten.
Das reguläre Defizit von 0,35% ist auch nicht für “Wirtschafts- und Strukturkrisen” gedacht. Dafür ist die Notverschuldung da, die bisher auch für Krisen genutzt wurde. Wenn es jetzt eine solche Krisensituation geben sollte, dann ist die Schuldenbremse kein Hindernis. Man muss aber ein Gericht überzeugen können, anstatt jedes Jahr eine neue Krise zu erfinden, um aus dem Vollen schöpfen zu können.
Um im Subventionswettlauf einigermaßen mithalten zu können, bedarf es meiner Meinung nach nicht unbedingt neuer Schulden. Es gibt genügend gute Finanzierungsquellen, die keinen Wirtschaftszweig besonders gefährden würden. Die Politik scheint nicht bereit zu sein, diese Entscheidungen zu treffen. Stattdessen werden weiterhin unsinnige Ausgaben getätigt und einige Bereiche, in denen Mehreinnahmen längst überfällig sind, werden unangetastet gelassen. Kein Wunder, dass das Geld für Zukunftsprojekte fehlt. Mehr Schulden scheinen eher ein politisches als ein wirtschaftliches Problem zu lösen.
Die USA als positives Beispiel für eine gute Wirtschaftspolitik zu wählen, ist eher fragwürdig. Bei anhaltend hohen Zinsen ist damit zu rechnen, dass sie in einigen Jahren ernsthafte Finanzprobleme bekommen könnten.
Eine Ausgabe von 300 Milliarden liegt weit jenseits dessen, was sich das Land dauerhaft leisten kann. Ist es dann so schlimm, dass diese Ausgaben eine Zweidrittelmehrheit im Parlament erfordern?
Die Schuldenbremse ist halt ein Mechanismus der dem Staat verbietet handlungsfähig und gut zu seinen Bürgern zu sein, denn im Gegensatz zur Darstellung die man klassischerweise so sieht sind Staatsschulden eine komplett andere Art von Schulden als Privatschulden. Auch ohne die EZB komplett selber zu kontrollieren kann Deutschland ohne Zweifel davon ausgehen das Schulden die jetzt aufgenommen werden durch Inflation über die Zeit die sie zurück gezahlt werden mehr als nur ihre Zinslast eliminieren.
Der springende Punkt ist das Staatsausgaben über das Jahr die Geldmenge erhöhen und das ein Staat der nicht zu viel Inflation haben will diese wieder verringert durch Steuer, somit setzt die Schuldenbremse an der falschen Seite an, sie ist quasi eine Planungsbremse, wenn die nachkorrektur der Geldmenge durch ein festgesetztes Verhältnis zwischen Ausgaben und Steuern möglicherweise sinnvoll wäre, sorgt die Schuldenbremse nur dafür das sinnvolle Ausgaben nicht getätigt werden.
Die Bundesbanker haben sogar Vorschläge für eine “stabilitätsorientierte Reform” der Schuldenbremse gemacht (die allerdings eine zwei Drittel Mehrheit in Bundestag und Bundesrat erfordert, also die Mithilfe der Opposition erfordert). Die linksradikalen Aktivisten der Bundesbank. Wer soll sich eigentlich noch alles äußern? Boris Becker? Der Papst?
Wirklich fast jeder mit Sachverstand schreit es von den Dächern. Nur die üblichen Verdächtigen stecken sich die Finger in die Ohren. Nichts hören, nichts sehen, nichs merken.
Ich bin ein alter Sack aber auch ich habe noch ein paar Jahre und mit Gestalten wie Lindner und Merz in Verantwortung sieht es für meinen Lebensabend übel aus. Die Kacke wird nämlich richtig am dampfen sein, wenn ich in einem Alter bin, wo ich nicht mal mehr im Ansatz die Kraft haben werde damit umzugehen. Von den kommenden Problemen der Kinder-/Enkel-Generation mal ganz zu schweigen.
Es ist vollkommen richtig Schulden vermeiden zu wollen. An Schulden profitieren nur die Banken. Ja, man kann Mal Schulden machen, aber es darf nicht oft sein. Der Staat muss es gut abbezahlen können, ohne dass es die Investitionen in kommenden Jahren zu stark begrenzt. Probleme mit Schulden kommen immer verzögert. Man darf sich da auch nicht an anderen “großen Industrienationen” orientieren, denn da läuft es auch nicht optimal.
Es gibt vermutlich ein Optimum, wenn man Schulden im Verhältnis zum BIP betrachtet. Die Schuldenbremse ist aber nicht geeignet um das abzubilden, weil Investitionen, die das BIP mehr erhöhen als investiert wurde damit nicht möglich sind. Sprich, man sollte gute Schulden machen, die sich später auszahlen (so agieren ja auch quasi alle großen Unternehmen).
Viele Junge Menschen sagen, die vorherigen Generationen hätten “den Wohlstand verbrannt”. Aber genau das würden wir heute tun, wenn wir weitere Schulden aufnehmen würden.
Wir verbrennen gerade unsere gesamte Zukunft indem wir seit Jahrzehnten unsere Infrastruktur wegen der irrationalen Sparpolitik verfallen lassen, wir haben jetzt schon hunderte milliarden Euro investitionsbedarf, unsere Kommunen, Schulen und Universitäten zum sparen zwingen, und so grundlegende Versorgung durch den Staat zunichte machen, und uns komplett die Zukunft verbauen, und dann kommt noch der Klimawandel, der weitere hunderte von Milliarden Euro benötigt um ihn zu begrenzen und die Folgen davon zu bekämpfen. Wir können uns die Schuldenbremse einfach nicht leisten, weil sie wortwörtlich unsere Zukunft bremst.
Den Wohlstand verbrennen wir, indem wir uns mit der Vermeidung von notwendigen Investitionen die Wirtschaftsgrundlage entziehen. Und wir nebenbei trotzdem unsere Ökosysteme zerstören.
Man könnte auch ein bisschen besser verzinste Bürgeranleihen herausgeben, wenn das ein Problem ist.