Weil am Samstag Teil 2 rauskommt, jetzt auch hier Teil 1:
Als Domis Roller eines Tages den Geist aufgab, hatten wir keine andere Wahl, als uns ausnahmsweise bei ihr zu treffen.
Domi war meine erste Freundin. Eigentlich wollten ihre Eltern sie Dominique nennen, aber irgendwie konnten sie das nicht schreiben, also hieß sie Dominik. So richtig, auf ihrem Ausweis.
Nun, nach einem Jahr Beziehung war es dann so weit, und ich habe sie das erste Mal zu Hause besucht. Sie lebte ländlich, die Familie bewohnte ein kleines, heruntergekommenes Haus. Domi, ihre Schwester, ihr kleiner Bruder Spike, ihr Stiefvater, nennen wir ihn Jochen, ihre Mutter, ein schwerst übergewichtiger Beagle und ein Haufen Katzen, die ständig ein und aus gingen.
Schon im Hausflur stank es nach Zigaretten und wir mussten über haufenweise Schuhe, Gummistiefel, ein Dreirad und eine fehlende Treppenstufe klettern, um in ihre Wohnung zu kommen.
In der großen Wohnküche standen zwei kleine Schreibtische mit Computern, Domis Mutter und Stiefvater je an einem davon. Wir sagen “Hallo”, die Eltern ignorieren uns fast gänzlich, die Rücken uns zugekehrt. Die Mutter in einem Chat-Raum, der Stiefvater ein Online-Kartenspiel spielend. Auf beiden Tischen stehen reihenweise Kaffeetassen, gefüllt mit Kippen, gerade genug Platz für Maus und Tastatur verbleiben.
Ihr Kinderzimmer teilt sich Domi mit ihrer kleinen Schwester, die wohl unterwegs ist, und so haben wir zwei degenerierten Teenager das Zimmer für uns und es dauert keine Minute, bis Domi mich reitet. Ich merke dass sie abgelenkt ist und ihr Top nicht ausziehen will und ständig zur Tür guckt. “Was ist los?” frag ich. “Jochen hört immer wenn ich ficke und kommt dann zufällig rein”.
Und siehe da, die Tür geht einen Spalt auf, und Jochen möchte wissen, wann es Mittag gibt. “Verpiss dich, Jochen” sagt Domi, ohne aufzuhören, mich zu reiten. Jochen lacht dreckig, und steckt den Kopf zur Türe rein. Verpiss dich, ruft Domi noch mal, und aus dem Wohnzimmer brüllt ihre Mutter, er solle uns doch mal in Ruhe lassen. Und wieder lacht Jochen dreckig, aber tatsächlich verschwindet er, ohne die Tür zu schließen.
Irgendwann ruft Domis Mutter, dass Spikes Windeln gewechselt werden müssen, und wir unterbrechen den Akt. Domi geht ins Wohnzimmer, ich liege auf dem Bett und nur die Verheißung, dass wir später weitermachen, hält mich davon ab, sofort wegzurennen.
Irgendwann stehe ich auf, gehe ins Wohnzimmer, setze mich an den Esstisch, habe das Gefühl das ist höflich. Domi spielt mit ihrem Bruder, der nicht, wie ich erwartet hatte, ein Säugling, sondern ein rundlicher Dreijähriger ist. Domi setzt sich zu mir, lehnt sich an mir an, sagt mir, dass sie uns Pizza bestellt hat. Jochen lacht, ist sich der Herr Prinz etwa zu fein, aus unserer Küche zu essen? Womit ich den Spitznamen verdient habe, verstehe ich zwar nicht, aber während ich in die Küche schaue, voll mit Katzenhaaren und Aschenbechern, ein offener gelber Sack mit Katzenstreu und Windeln auf der Arbeitsplatte, komme ich mir tatsächlich, vielleicht zum ersten Mal in meinem Leben, zu fein für etwas vor.
In dem Moment wusste ich meine Eltern zu schätzen, die zwar auch von Sozialhilfe und Hartz 4 lebten, aber einen sauberen Haushalt führten und nie auf die Idee kämen, meine Schwester oder mich beim Sex erwischen zu wollen. Wenn man die Erwartungen nur niedrig genug hält…
Irgendwann kommen unsere Pizzen, Domi und ich essen am Küchentisch, Jochen kommt an und bedient sich an ihrer Pizza. Die Kippe in der linken Hand, die Pizza in der rechten. “Stefan versucht hier zu essen”, ermahnt ihn Domi. “Na und, das stört mich doch nicht beim Rauchen!”, sagt er, laut und widerlich lachend. Mir fallen seine fehlenden Eckzähne auf, und eine Fettwulst, die sich in seinem Nacken auftürmt, während er die Scheibe Pizza in sich verschwinden lässt. “Jochen, du bist ein Arschloch” sagt Domi. “Du sollst mich doch Papa nennen”, erwidert Jochen. Dann ruft er laut nach Spike, und statt dem Dreijährigen, der anteillos auf dem Boden sitzt und in ins Leere starrt, kommt der Beagle um die Ecke und bekommt eine Scheibe Pizza.
Häh? Frage ich. Heißt der Hund etwa auch Spike? Domi wird rot, irgendwie scheint ihr in all dem Chaos und Elend DAS am peinlichsten zu sein. Ihre Mutter ruft, mit einem Akzent, von dem ich später lerne, dass er sächsisch ist, vom ihrem Schreibtisch auf: “Ja, aber der Hund war zuerst da.” Domi hat Tränen in den Augen. Ich frage nicht weiter.
Nach dem Essen ziehen wir uns in ihr Zimmer zurück, ihre Schwester ist mittlerweile nach Hause gekommen, und so beherrschen wir uns und chatten mit Schulfreunden in ICQ, gucken uns den Fail Blog an, lachen über z0r und German Bash. Domis Schwester guckt und lacht mir, wirkt nett, aufgeweckt und erstaunlich normal.
Irgendwann klopft es an der Tür, die Mutter ruft uns, wir sollen doch bitte in die Garage kommen, das neue Auto sei da. Ich weiß nicht worum es geht, und Domi erklärt mir, dass Jochen ein neues Auto bekommen habe, und wir uns das mit ihm ansehen müssen. Mir ist das Ganze zuwider, was interessiert mich das neue Auto dieses Spinners, aber gut, für Domi gehe ich mit runter.
Und so stehen wir zu fünft um einen in die Jahre gekommenen, ranzigen kleinen Opel, in der halbdunkeln Garage, Jochen mit einer Tüte Chips, bestimmt zehn Minuten, und die Mutter sagt wir können ruhig Fragen zu dem Auto stellen, aber niemandem fallen Fragen ein, und Jochen platzt fast vor Stolz und Ehrfurcht, und ich bin verwirrt und versuche nicht zu lachen, und Domi wirft mir flehende Blicke zu, als befürchte sie, dass ich die Absurdität dieser Situation mit einem Lachen exponieren könnte, und Jochen schiebt sich faustweise Chips in den Rachen, das Auto umkreisend, als hätte er in seinem Leben kein solches Wunder gesehen. Weitere, quälende Minuten vergehen, dann setzt er Spike - das Kind, nicht den Hund - auf den Fahrersitz, und lacht, und nennt ihn den kleinen Rennfahrer, ganz der Papa eben, und ist dann eingeschnappt, dass sonst niemand lacht, außer Domis Mutter, der niemand die Echtheit ihres bemühten Gelächters abkauft.
Irgendwann sitze ich auf dem Rad nach Hause, der Tag wirkt wie ein wirrer Fiebertraum, und ich lege mir schon Formulierungen zurecht, wie ich morgen Kevin davon berichten werde.
Moment mal, denke ich mir. Jochen hört immer, wenn sie fickt?
Das ist sehr plastisch. Wahnsinn!
(Kleine Korrektur: Hier ist was kaputt, “Domis Schwester guckt und lacht mir, …”)