Heute eine kleine »surreale Fabel« oder sowas. Vielen Dank für’s Lesen Ü
Mit dem Öffnen der Türe schloss das Fenster und das Bellen des Nebels verhallte. Ich drehte mich um.
»Und? Wie sehe ich aus?« Ich trug zum ersten Mal das Kleid meiner Großmutter – ein Unikat, handgefertigt aus hundertfünfzehntausend Löffeln. Immerhin sollte das heute ein extravaganter Ball werden.
»Umdrehen«, orderte die Katze und korrigierte zwei der Löffel. »Jetzt können wir los.« Ich folgte der Katze die moosbewachsene Wendeltreppe hinunter, dabei stets den Blick auf ihre Ohren gerichtet, das half gegen den Schwindel.
»Und sonst muss ich nichts weiter tun?«, fragte ich, als wir den Keller erreichten.
»Nur das, was ich dir aufgetragen habe«, sagte die Katze, die einen Löffel vom Kleid entwendet hatte und sich damit am Schlüsselloch der Türe zu schaffen machte.
»Komm jetzt, und mach das Kleid nicht schmutzig!«
Behutsam folgte ich ihr durch den Ausgang hinaus in die Nebelfelder, die uns schlirrend entgegenknurrten.
»Katze, wo bist du?«
»Greif meinen Schweif, ich bringe dich zum See.«
Mit einer Hand den Schweif haltend, mit der anderen das Kleid, folgte ich durch den Nebel, bis dieser sich langsam lichtete und nur noch kindisch kicherte. Das Schloss des Professors spiegelte sich bereits im See und trotz des noch immer vorhandenen Nebels konnte ich die einladenden Lichter in den Fenstern erkennen.
»Steig ins Boot«, sagte die Katze, und ich erschrak, als ich in meiner Hand nicht ihren Schweif, sondern einen dürren Ast hielt.
»Na los«, sagte die Katze oder der Ast, und ich kletterte vorsichtig über die Schädel am Ufer, hinein ins Boot und begann zu rudern.
»Pass auf!«, mahnte der Ast, der auf der Katze neben meinem Boot entlang ritt, aber es war zu spät. Ich hatte bereits zwei der Schädel im See getroffen.
»Quack!«, beschwerte sich einer der beiden.
»Bitte entschuldigt vielmals«, sagte ich, »aber ich sehe fast nichts. Ich hoffe, dass ich euren Schlaf nicht gestört habe.«
Nach einem bisschen mehr als einer kleinen Weile und drei beschädigten Schädelenten später, lag das Schloss direkt vor uns – erhaben auf einer Klippe thronend. Wie ein Wunder verzog sich der Nebel und das Pferd des Professors half mir aus dem Boot.
»Die Katze und der Ast müssen draußen bleiben.«
Ich verabschiedete mich vom mahnenden Blick der Katze und holzigen Ausdrucks des Astes und stieg auf das Pferd. Im Galopp ritten wir entlang der Küste, bis das Pferd mit einem gewaltigen Sprung durch ein Loch, das nur halb so groß war wie wir selbst, in den Felsen sprang. Immer rasanter rasten wir durch den Tunnel, der zu allen Seiten mit grünem Samt bespannt war. Nur vereinzelt beleuchteten Fledermäuse, die Kerzen in ihren Krallen hielten, unseren Weg. Am Ende des Tunnels kamen wir abrupt zum Stehen.
»Bitte steigen Sie ab, für mich ist hier kein Weiterkommen.«
Als ich mich bedanken wollte, war das Pferd bereits durch den Tunnel verschwunden.
»Guten Abend, junge Frau«, piepste mir ein Schnabel aus der Felswand entgegen. »Wenn Sie so gütig sein könnten und ziehen …« Also zog ich, zuerst sachte, dann kräftiger am Schnabel, bis ich den steinernen Vogel aus der Wand gebrochen hatte und hindurchsteigen konnte.
Das Licht der Kronleuchter blendete meine Augen, die Melodien der Nachtigallen meine Ohren und so erkannte ich erst nach kurz darauf, dass ich bereits im Ballsaal stand. Zum Rande des Saales hin, an den üppig gedeckten Tafeln, saßen sie alle: Drosseln, Amseln, Finken und allerlei prächtige Vögel, deren Namen ich noch nicht kannte. Inmitten tanzte innig ein einsames Pärchen, grün am Hals und sonst eher unauffällig.
Ich tat einen Schritt in den Saal hinein. Das Klirren der Löffel an meinem Kleid führte zu großem Geschrei und Geflatter und Getose. Schließlich erstickte eine silberne Stimme alle Geräusche.
»Bitte kommen Sie näher«, rief der Reiher am Kopf der Tafel. Zögernd schritt ich durch das kniehohe Meer aus Federn, welche die Panik den Vögeln entrissen hatte, bis ich vor ihm stand.
»Sehr geehrter Professor«, begann ich, den Kopf demütig gesenkt wie die Fasanen, die zu seiner linken Seite saßen, »ich entschuldige mich aufrichtig für den Schaden, den ich Ihren Enten im Verlauf des Schreibens zugefügt habe.«
»Asche zu Asche, Ente zu Ente«, entgegnete der gelehrte Reiher und schnippte mit dem Schnabel nach seinem Kammerdiener. »Wir haben Sie schon sehnsüchtig erwartet. Nun können wir fortfahren.«
Der Kammerdiener flog hinauf, umkreiste den Kronleuchter zweimal oder dreimal – das Licht war zu hell, um es genau zu erkennen – setzte sich dann nieder und fing an zu brüllen.
»Kräh, Kräh, Krähm brûlée.«
Zu allen Seiten des Raumes öffneten sich goldene Tore und herein kamen Wachteln, immer in Gruppen zu acht, die auf ihren Rücken steinerne Schüsseln trugen.
»Es ist angerichtet«, verkündete der Reiher. Auf eine kurze Stille folgte das Flattern und Wedeln und Schütteln tausender Flügel – ein ohrenbetäubender Lärm. Alle stürzten sich auf mich, rissen und zerrten und zogen bis nur noch ein einziger Löffel an meinem Kleid hing. Ringsum begannen die Vögel, ihre Crème brûlée zu löffeln. Jetzt konnte ich die Aufgabe der Katze vollenden.
Ich richtete mein Kleid – oder was davon übrig geblieben war – und kletterte am Hals des großen Schwanes hinauf, der selbst ganz vertieft war in seiner Crème brûlée. Dabei stets den Blick auf seine Ohren gerichtet – das half gegen den Schwindel – bis ich den Kopf erreicht hatte. Langsam ließ ich mich an seinem Schnabel hinunter und wartete, bis er den nächsten Bissen nahm. Dann sprang ich hinein.
Das Innere des Schnabels war vollständig mit weißem Samt bedeckt. In der Mitte stand ein Bett, in dem Eier aller Größen und Farben schliefen. Wie würde ich die nur öffnen? Ich warf eines der Eier gegen die Wand, aber der Samt federte es sanft zurück auf den Boden. Vorsichtig entfernte ich den letzten Löffel von meinem Kleid und klopfte auf das Ei, das ich gerade gegen die Wand geworfen hatte. Sofort zersprang seine Schale und aus dem Ei stieg die Katze.
»Gut gemacht«, sagte sie, ausnahmsweise höflich und fügte gewohnt unhöflich hinzu:
»Jetzt die anderen.«
Rasch klopfte ich auf all die restlichen Eier – es müssen an die hundert gewesen sein – und aus jedem Ei kam eine andere Katze. Dann ergriff meine Katze das Wort.
»Liebe Schwestern, lasst uns essen.« Und damit verschwanden sie, zum Schnabel des Schwanes hinaus, im Ballsaal.
Hab die Geschichte nicht gelesen, aber ich mag den Titel.
Surreale Fabel triffts ganz gut, kein einziger Satz war was ich erwartet habe. Respekt!