12
Kris (@isotopp@infosec.exchange)
infosec.exchangeAttached: 1 image
# Der Tod der deutschen Autoindustrie: Das e-Bike
## Freie Fahrt
Philipp Loser
Es ist ein Slogan für die Ewigkeit. Einer, der es in die Liste der geflügelten Worte auf Wikipedia geschafft hat, irgendwo zwischen «Feind hört mit», «Flasche leer» und «Friede den Hüt-ten, Krieg den Palästen».
«Freie Fahrt für freie Bürger.»
Erfunden wurde der Spruch vom Allgemeinen Deutschen Automobil-Club, dem ADAC. In den Siebzigerjahren kämpfte die Welt ums Benzin, es war die Ölkrise, und in Deutschland gab es einen sehr ernsthaften Versuch, auf Autobahnen ein Tempolimit von hundert Stundenkilometern gesetzlich festzuschreiben. Hundert Stundenkilometer!
Beim ADAC war man gar nicht erfreut. Der Motor nehme Schaden, und die Fahrer litten unter der Monotonie, wenn man nur hundert fahren dürfe, hiess es bei der Autolobby. Und: Man werde alles tun, um dieses «unrealistische Kriechtempo» zu verhindern.
Der ADAC startete eine Kampagne unter dem Titel «Freie Bürger fordern freie Fahrt» und hatte damit durchschlagenden Erfolg. Statt einem Tempolimit von hundert führte Deutschland eine «Richtgeschwindigkeit» von hundertdreissig Stundenkilometern ein. Heute ist Deutschland eines der letzten Länder der Welt, in denen es keine fixe Geschwindigkeitsbegrenzung auf Autobahnen gibt.
Obwohl auf Schweizer Autobahnen die Höchstgeschwindigkeit von hundertzwanzig gilt (Kriechtempo!), hatte der Slogan auch bei uns grossen Erfolg. Bis heute taucht er regelmässig auf, wenn es darum geht, unliebsame Veränderungen auf Schweizer Stras-sen abzuwenden. Er taucht auf, wenn gegen «Klimakleber» gehetzt wird oder gegen die «masslose Zuwanderung», die die Strassen verstopfe.
«Freie Fahrt für freie Bürger» steht auch für einen Zeitgeist, der in der Schweiz über Jahrzehnte in Sachen Autos überaus eindeutig war: Was gut für die Autofahrer ist, das ist politisch mehrheitsfähig. Es gab für eine kurze Zeit sogar eine Partei, in der es ausschliesslich um das Auto und die Freiheit seines Fahrers ging.
Zu Zeiten der Autopartei wäre denn auch eine Abstimmung wie jene vom 24. November, bei der es um fünf Milliarden Franken für einen Ausbau des Schweizer Autobahnnetzes geht, nicht umstritten gewesen. Sie wäre an der Urne mit einer lockeren Zweidrittelmehrheit durchgekommen (vielleicht sogar mit einer höheren).
Auch darum war die erste Meinungsumfrage der SRG zu den Abstimmungen eine mittlere Sensation. Nur eine knappe Mehrheit von 51 Prozent sagt Ja zum Ausbau der Autobahn. Normalerweise steigt der Ja-Anteil bei Behördenvorlagen im Laufe einer Abstimmungskampagne. Weil aber in jüngerer Vergangenheit oft das Gegenteil passiert ist, sei der Abstimmungsausgang offen, sagte die Politologin Martina Mousson vom GFS Bern.
Ganz egal in welche Richtung die Abstimmung am Schluss kippt, dass es überhaupt knapp werden könnte, ist ein Hinweis auf eine grundsätzliche Veränderung im Abstimmungsverhalten von bürgerlich eingestellten Menschen in der Schweiz. Erst kürzlich gab es eine bemerkenswerte Umfrage des Marktforschungsinstituts YouGov zur Verbreitung von E-Bikes in der Schweiz.
Nicht nur steht in fast jedem dritten Haushalt ein elektronisches Bike, knapp die Hälfte der befragten E-Bike-Besitzer gaben auch an, die Hälfte ihrer früheren Autofahrten nun mit dem Velo zu machen.
Die E-Bike-Pendler aus der Agglomeration (die man in der Rushhour auf den Ausfallstrassen der Schweizer Städte beobachten kann - sie rasen!) denken ganz offensichtlich neu über ihre eigene Mobilität nach.
Braucht es mehr Autobahn? Lohnen sich die Investitionen, wenn in zehn Jahren der Stau wieder der gleiche ist? Würde man diese Milliarden nicht gescheiter in andere Verkehrs-formen investieren?
Dass sich Einstellungen grundsätzlich ändern können, das weiss man selbst beim ADAC. Bei seiner letzten Mitgliederumfrage gaben 55 Prozent an, sie seien für ein generelles Tempolimit auf deutschen Autobahnen.
Philipp Loser ist Redaktor des «Tages-Anzeiger».
Das ist eine Schweizer Zeitung.
You must log in or register to comment.