Mitten im laufenden Strafprozess um die mutmaßlich rechtsextremistische Anschlagsserie von Neukölln erhöhen die Berliner Generalstaatsanwaltschaft und der Staatsschutz des Landeskriminalamtes den Druck auf die beiden Angeklagten.
Die Generalstaatsanwaltschaft, die die Verfahren führt, ließ per richterlichem Beschluss die Wohnungen von Sebastian T. und Tilo P. durchsuchen. Ermittelt wird wegen zweier Brandanschläge auf Autos Anfang 2017.
Es geht also um andere Anschläge als jene, die gerade vor Gericht verhandelt werden. Jetzt muss die Staatsschutzkammer entscheiden, ob der Prozess vorläufig ausgesetzt werden muss.
Am vergangenen Montag hatte die Polizei die Wohnungen von T. und P. sowie des Neonazis Julian B. durchsucht. Das sagte ein Sprecher der Staatsanwaltschaft dem Tagesspiegel. Ziel der Maßnahme sei es gewesen, Tablets, Handys und Tatmittel aufzufinden, die nun ausgewertet werden.
In dem Verfahren geht es den Angaben zufolge um zwei Taten vom 23. Januar 2017. Damals waren in Neukölln zwei Autos in Brand gesetzt worden.
Ob sich die Taten gegen die Inhaber der Autos wegen ihres politischen Engagements gegen Rechtsextremismus richteten, konnte der Sprecher zunächst nicht sagen.
Doch genau das dürfte der Fall sein. Laut der Chronik des Bündnisses Neukölln und verschiedener anderer Quellen etwa zum Neukölln-Untersuchungsausschuss des Abgeordnetenhauses lassen sich die Brandstiftungen genau zuordnen.
Also wissen Freiwillige aus der Zivilgesellschaft mal wieder mehr, als die Justiz. Super
So wurde am 23. Januar 2017 nach Mitternacht in Britz das Auto des Gewerkschafters Detlef Fendt angesteckt. Er war bei der IG Metall aktiv und hatte sich in Neukölln gegen Rechtsextremismus engagiert.
Etliche Minuten später ging zwei Kilometer entfernt das Auto des Buchhändlers Heinz Ostermann in Flammen auf.
Beide Taten werden dem Neukölln-Komplex mit insgesamt mindestens 72 rechtsextremen Straftaten zugerechnet, darunter sind dutzende Brandanschläge und Morddrohungen.
Jetzt erhoffen sich die Ermittler mit den neuen Durchsuchungen einen Durchbruch und bringen eine neue Dynamik in das Verfahren am Landgericht. Denn bislang konnte den Neonazis keine der Brandstiftungen gerichtsfest nachgewiesen werden.
Die Razzia könnte weitreichende Folgen für den seit September laufenden Berufungsprozess am Landgericht haben. Carsten Schrank, Verteidiger von T., beantragte am Montag die Aussetzung des Verfahrens. Er müsse für die Chancengleichheit vor Gericht erst die Akten der Staatsanwaltschaft zu den neuen Ermittlungen bekommen.
Diese könnten seinen Mandanten auch entlasten und Hinweise zu anderen Verdächtigen wie etwa Julian B. bringen. „Dass die Generalstaatsanwaltschaft einen Beschuldigten der Brandserie dem Gericht verschwiegen hat, ist eine schwere Beeinträchtigung des Gerichtsverfahrens“, sagte Schrank. Julian B. ist ein polizeibekannter Neonazi und gilt seit langem als einer der Hauptverdächtigen in der Neuköllner Anschlagsserie.
Mirko Röder, Verteidiger von P., beantragte keine Aussetzung. Er verwies zudem auf den Neukölln-Untersuchungsausschuss, der die Akten des Gerichts nach Abschluss des Prozesses benötige. „Die Musik spielt letztlich im Parlament“, sagte er.
Die Vorsitzende Richterin Susann Wettley setzte die Verhandlung am Montag zunächst fort, kündigte aber an, zeitnah über eine Aussetzung zu entscheiden.
Derzeit müssen sich T. und P. vor dem Landgericht I wegen verschiedener anderer Delikte verantworten. Dabei geht es auch um zwei Brandanschläge auf Autos. Die beiden Angeklagten sollen in der Nacht vom 31. Januar zum 1. Februar 2018 die Autos des Linken-Politikers Ferat Koçak und des Buchhändlers Ostermann in Brand gesetzt haben.
Weil sich beide gegen Rechtsextremismus engagieren, sollen sie zum Ziel der Neonazis geworden sein. In erster Instanz hatte das Amtsgericht Tiergarten die Neonazis aus Mangel an Beweisen vom Vorwurf der Brandstiftung freigesprochen. Dagegen gingen Generalstaatsanwaltschaft und Verteidiger in Berufung.
In einer Woche sollen Koçak und Ostermann im Prozess als Zeugen gehört werden. Parallel ruft ein Bündnis zu einer Kundgebung vor dem Gericht auf, das Motto lautet: „Den rechten Terror stoppen. Neukölln-Komplex aufklären. Täter zur Rechenschaft ziehen.“
Erst Ende Oktober waren nachts die Reifen von Ostermanns Auto zerstochen worden.