In kaum einem anderen Land werden Vermögen so niedrig und Arbeit gleichzeitig so stark besteuert wie in Deutschland. Trotzdem sprechen sich die meisten Bürgerinnen und Bürger gegen eine Vermögenssteuer aus. Warum, erklärt Patrick Sachweh, Professor für Soziologie an der Universität Bremen, der sich auf den Wandel von Ungleichheit spezialisiert hat.
ZEIT ONLINE: Herr Sachweh, Sie forschen seit vielen Jahren zu Gerechtigkeitsvorstellungen und sagen, dass eine Vermögenssteuer für Superreiche in Deutschland nur schwer umsetzbar sei. Warum?
Patrick Sachweh: Es ist eine verrückte Situation: 1,5 Prozent der Deutschen gelten als hochvermögend. Sie besitzen über 3.600 Milliarden Euro und haben damit mehr Vermögen als 90 Prozent der Bevölkerung zusammen. Trotzdem sind die meisten Bürgerinnen und Bürger gegen eine Vermögenssteuer. Dabei hatten wir ja eine solche Steuer. 1997 hat die Regierung unter Kanzler Helmut Kohl sie aber abgeschafft – und seither tut sich Deutschland schwer, extrem Wohlhabende zu besteuern. Vermögen hat eben eine seltsame Aura von Legitimität.
ZEIT ONLINE: Was meinen Sie damit?
Sachweh: Die Bürger nehmen die Ungleichheit der Vermögensverteilung in Deutschland nicht so stark wahr. Auch Menschen der unteren Mittelschicht sind zum Beispiel mit ihrem Lebensstandard oft nicht völlig unzufrieden. Es gibt außerdem eine allgemeine Tendenz, sich finanziell etwas besser einzuschätzen, als man es tatsächlich ist – das befördert natürlich auch die Sorge vor höheren Steuern. Viele Menschen finden hohe private Vermögen sogar ein Stück weit legitim. Das hat mit der Vorstellung zu tun, dass Vermögen durch Leistung erarbeitetet wurde und daher verdienter Wohlstand sei. Selbst benachteiligte Bevölkerungsgruppen vertreten oft diese Auffassung.
ZEIT ONLINE: Viele Vermögende sind dagegen nur so reich, weil sie geerbt haben.
Sachweh: Genau. Erbschaften werden häufig als etwas gedeutet, was den Familienzusammenhalt stärkt. Und viele Menschen aus der Mittelschicht denken bei Vermögen ans Eigenheim, das ein Symbol für soziale Sicherheit ist. Vermögen steht oft auch für Unabhängigkeit. Wenn ich vermögend bin, brauche ich keinen Sozialstaat und bin nicht auf andere angewiesen. All das zusammen genommen erzeugt so eine Aura der Legitimität des Vermögens.
ZEIT ONLINE: Im Bundestagswahlkampf 2021 kam die SPD-Forderung nach einer Vermögenssteuer bei den Wählerinnen und Wählern aber gut an.
Sachweh: Die SPD hat damals die Wiedereinführung der Vermögenssteuer in Höhe von einem Prozent gefordert, allerdings verbunden mit dem Zusatz, dass mit der Vermögenssteuer keine Arbeitsplätze gefährdet werden. Die Sozialdemokraten haben damit ein Narrativ der Gegner wie etwa der Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft oder des Verbands der Familienunternehmen übernommen. Und eine Vermögenssteuer ist dennoch nicht in Sicht.
ZEIT ONLINE: Wie begründet ist die Sorge, dass Arbeitsplätze verschwinden und Unternehmen gefährdet wären, wenn eine Vermögenssteuer eingeführt würde?
Sachweh: Die Angst vor einer Vermögenssteuer ist übertrieben. Untersuchungen aus den USA zeigen, dass variierende Steuersätze in den verschiedenen Bundesstaaten nicht dazu führen, dass Vermögende ihren Wohnsitz an einen anderen Ort verlegen, nur weil es dort niedrigere Steuern gibt. Gerade wenn der Reichtum an einem Betriebsvermögen hängt, ist es viel schwieriger, den Sitz des Unternehmens zu verlagern. Daten aus OECD-Ländern zeigen zudem, dass die Senkung oder Abschaffung von vermögensbezogenen Steuern, die wir seit den Neunzigern beobachten konnten, auch keine positiven makroökonomischen Effekte hatten, wie es der Neoliberalismus ja unterstellt.
ZEIT ONLINE: Wie meinen Sie das?
Sachweh: Eine beliebte These war ja, dass mit der Abschaffung der Vermögenssteuer sich das Bruttoinlandsprodukt eines Landes positiv entwickelt und die Arbeitslosigkeit sinkt – aber nichts davon ist eingetreten. Was man hingegen sehen kann: Die Ungleichheit ist gestiegen.
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ZEIT ONLINE: Gibt es Beispiele aus anderen Ländern, die erfolgreich eine Vermögenssteuer eingeführt haben?
Sachweh: Spanien hat vor nicht langer Zeit eine progressive Vermögensbesteuerung eingeführt: Hochvermögende zahlen, gestaffelt nach ihrem Nettovermögen, einen Steuersatz zwischen 1,7 bis 3,5 Prozent. Zudem wurden die Sätze der Einkommenssteuer und auch die Kapitalertragssteuer erhöht. Mit den Mehreinnahmen sollen insbesondere einkommensschwache Haushalte entlastet werden.
ZEIT ONLINE: Und das wäre auch etwas für Deutschland?
Sachweh: Wenn man den Spitzensteuersatz in der Einkommenssteuer anhebt, würde man eine bestimmte Personengruppe treffen – die obere Mittelschicht. Betroffen wären etwa Paare mit einem zu versteuernden Einkommen von mehr als 125.000 Euro im Jahr. Das sind zwar Menschen, die gut verdienen, aber nicht unbedingt auf hohen Vermögen sitzen. Sie sind aber relevante Wählergruppen – und daher werden wohl alle Parteien die Finger davon lassen. Die sogenannte Reichensteuer von 45 Prozent trifft nur etwa 0,4 Prozent der Steuerpflichtigen. Eine allgemeine Vermögenssteuer wäre immerhin ein Symbol, dass auch die sehr Wohlhabenden für das Gemeinwesen in die Pflicht genommen werden.
Finde immer lustig wie Vermögen verteidigt wird, obwohl man selber niemals so viel besitzen werden wird. Da wird dann gerne von der „harten Arbeit“ gesprochen, durch die man es ja „verdient hätte“.
Nach unten wird dann aber natürlich getreten, damit man sich selber von den „Armen“ abgrenzen kann.