Das Regime in Peking ist alarmiert: In der Gesellschaft kursiert ein Begriff, der Arbeit und Disziplin infrage stellt – und die Enttäuschung vieler Leute auf den Punkt bringt.
Anfang Juli sorgte in den chinesischen Onlinemedien der Suizid einer dreissigjährigen Investmentbankerin für Aufregung. In den Diskussionen darüber hiess es, die Frau habe sich verzweifelt vom Dach des Firmengebäudes ihres Arbeitgebers gestürzt, weil sie aufgrund von Gehaltskürzungen, hohen Hypothekenraten und dem Wertverlust von Immobilien unter Druck gestanden sei. In den Beiträgen wurden auch Verbindungen zur allgemeinen Situation im Land und zu den Belastungen durch diverse Krisenerscheinungen gezogen. Dabei fiel immer wieder ein Begriff, der die derzeitigen Probleme und Enttäuschungen vieler Menschen in der Volksrepublik China auf den Punkt bringt: «historische Müllphase».
Der Begriff «Müllphase», auf Englisch «garbage time», stammt aus dem Sport. Er wird insbesondere im Basketball für die Zeit am Ende eines Spiels verwendet, wenn ein Team mit grossem Vorsprung führt. Der Ausgang des Spiels ist entschieden, aber es dauert noch eine Weile an. Die Restzeit gilt als sinn- und wertlos, als Müll halt. Die Teams wechseln Ersatzspieler:innen ein und lassen die Partie ausplätschern. Im chinesischen Internet tauchte der Begriff erstmals im September 2023 als Bezeichnung für eine Epoche auf.
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Die Diskussion bringt eine zunehmend schlechte Stimmung in der Bevölkerung zum Ausdruck. Insbesondere die Millionen Wanderarbeiter:innen leiden seit Jahren unter stagnierenden Löhnen und den zuletzt gestiegenen Preisen für Konsumartikel. Damit verschärft sich der wirtschaftliche Druck, der schon durch hohe Wohnungs- und Bildungskosten sowie die ungenügende Absicherung mittels unterfinanzierter Sozialversicherungen besteht. Junge Leute sind ausserdem von einer hohen Jugendarbeitslosigkeit betroffen, von der zunehmenden Schwierigkeit, nach der Ausbildung oder dem Studium angemessene oder gar gute Jobs zu finden, sowie von blockierten Aufstiegschancen in den Unternehmen. Die Mittelklasse stöhnt über die Entwertung von Wohneigentum durch die anhaltende Immobilienkrise und den Rückgang der Börsenkurse. Und viele sind auch die zunehmende Überwachung und Gängelung leid, die ihren Alltag bestimmen.
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Die aktuellen inländischen Krisen mit ihren sozialen Auswirkungen werden im Abschlussdokument [der 3. Plenartagung des aktuellen Zentralkomitees der KP Chinas Mitte Juli] kaum erwähnt, das Streben der Parteiführung nach äusserer und innerer Stabilität schon. Die Lösung lang bestehender struktureller Probleme wie etwa der niedrige Inlandskonsum und die Abhängigkeit der Wirtschaft von staatlichen Investitionen sind durch die beschlossenen Massnahmen in den nächsten Jahren deshalb nicht zu erwarten.
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Den zunehmenden Problemen stehen die Versprechungen des Regimes gegenüber. Dieses hatte nicht nur weitere wirtschaftliche Verbesserungen angekündigt, sondern spricht seit 2021 davon, die Armut überwunden und eine «Gesellschaft mit bescheidenem Wohlstand» erreicht zu haben. Im gleichen Jahr kündigte das Regime an, gegen die enorme soziale Ungleichheit vorzugehen und im Land für einen «gemeinsamen Wohlstand» zu sorgen.
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