Theresa Jacobs forscht am Sorbischen Institut in Bautzen und ist auch selbst Sorbin. Im Interview mit MDR SACHSEN erklärt sie, wie verschieden die sorbische Minderheit ist, wie sie politisch tickt und wie junge Initiativen für Erneuerung plädieren - auch für einen offeneren Umgang mit Homosexualität.
Frau Jacobs, die Sängerinnen Sarah und Josephina Bretschneider sind Schwarze Sorbinnen*. Wie divers ist die sorbische Minderheit?
Theresa Jacobs: Sie ist diverser als viele vermuten. Es gibt einige interkulturelle Familien wie beispielsweise polnisch- oder tschechisch-sorbische Paare. Auch deutsch-sorbische Familien sind gemischte Familien. Bei den Bretschneiders fällt die Familienherkunft einfach stärker auf. Eine Herausforderung für die kleine Minderheit der Sorben ist letztlich immer wieder die Weitergabe der Sprache.
Wie erleben Sie die jungen Frauen in Bautzen?
Josephina und Sarah sind als Sängerinnen in Bautzen bekannt. Als Schwarze Sorbinnen ist es für sie sicher immer wieder eine Herausforderung. Wir haben die AfD als stärkste Partei im Stadtrat. Wir wissen alle, worüber wir hier reden und was das bedeutet. Mittlerweile trauen sich einige Menschen nicht mehr auf die Straße, es gibt Angriffe auf sorbische Jugendliche. Sich aktiv mit ihrer Rolle zu beschäftigen und Position zu beziehen, ist für die Zwillinge eine große Aufgabe, die Mut erfordert.
Sie sprechen von Angriffen auf sorbische Jugendliche. Gleichzeitig gibt es AfD-Anhänger unter den Sorben. Wie passt das zusammen?
Ja, es gibt Sorbinnen und Sorben, die mit der AfD sympathisieren und auch für sie kandidiert haben. Die Zuwendung zu einer andere Kulturen diskreditierenden Partei - ich verstehe das nicht. Das macht mich wütend. Ich glaube, viele setzen Hoffnungen in diese Partei, ohne die Konsequenzen mitzudenken. Es ist traurig. Doch wir müssen so ehrlich sein und sagen, ja, so ist es, auch im Sorbischen.
Gibt es eine Verbindung vom stark Traditionellen zu einem skeptischen Blick in die Zukunft?
Besonders die Sorbinnen und Sorben aus der Oberlausitz erscheinen in der außersorbischen Öffentlichkeit immer als sehr traditionell und religiös. Aber es gibt auch Dynamik und viele junge SorbInnen, die inspirierende Einflüsse einbringen. Mitglieder der Künstlergruppe “kolektiw wakuum” beispielsweise provozieren geradezu Auseinandersetzungen mit aktuellen Themen wie der Feminismus- oder Querdebatte. Das ist wichtig und längst überfällig. Es gibt Festivals und Diskussionsrunden zu sorbischen Zukünften. Wir am Sorbischen Institut beschäftigen uns schon seit mehr als 20 Jahren mit Themen wie Hybridität und interkulturelle Beziehungen. In welcher Weise die Forschungserkenntnisse jedoch in öffentliche Diskurse Eingang finden, lässt sich nur schwer vorhersagen.
Wir sprachen über interkulturelles Sorbentum. Wie sieht es mit sexuellen Orientierungen aus - abseits der klassischen Mann-Frau-Beziehung?
Wie in jeder anderen Gesellschaft gibt es auch bei den Sorben Homosexualität. Jeder weiß das. Seitdem ich aufs Gymnasium ging, kannte ich homosexuelle Sorbinnen und Sorben. Für mich ist das selbstverständlich. Aber das ist längst nicht in allen Kreisen so. Es funktioniert nach dem Motto ‘Wir wissen es alle, aber wir reden lieber nicht darüber’. Begegnet ist mir zum Beispiel die Sorge um die Reproduktion der SorbInnen. Manche fragen sich offenbar ernsthaft, wie das gehen soll, wenn wir sowieso nur so wenige sind. Warum reden wir also nicht darüber und finden unsere Antworten darauf? Dass es die Debatte mittlerweile gibt, zeigt auch der Kurzfilm "Pytaś a namakaś“ (Suchen und Finden) über das Suchen und Finden einer Trans* Identität aus dem Jahr 2022 von Mira Dubian und Luka Golinski vom “kolektiw wakuum”.
Es sind also nicht alle Sorben weiß, tief religiös und familienorientiert mit möglichst vielen Kindern?
Wir Sorben sind mindestens genauso heterogen, wie alle anderen auch. Das auch zu zeigen, gefällt natürlich nicht allen. Traditionalisten haben kein Interesse daran, dass innersorbische Debatten um Diversität nach außen dringen. Die Bewahrung des Alten steht im Mittelpunkt. Dabei gibt es wahnsinnig viel Innovatives zu entdecken, das Traditionelles neu denkt. In der außersorbischen Berichterstattung findet sich dazu aber kaum etwas.
Was schlussfolgern Sie aus all den Kontrasten?
Es bewegt sich gerade ganz viel. Doch Tradition und Moderne sollten nicht gegeneinander ausgespielt werden. Es gibt beide Seiten und sie gehören zusammen. Gerade für eine Minderheit ist das Bewahren des Traditionellen als verbindendes Element ebenso wichtig. wie die daraus wachsende Suche nach neuen Visionen. Wir müssen Verkrustetes in Häppchen aufbrechen, damit nicht alles zerbricht. Dann bin ich sehr optimistisch.