Elf Jahre nach ihrer Gründung könnte die AfD bei den Landtagswahlen im September stärkste Kraft werden. Die Partei liegt in Thüringen und Brandenburg in den Umfragen vorn und in Sachsen laut aktuellem ZDF-Politbarometer auf Platz zwei.
Was würde eine Landesregierung mit AfD-Beteiligung für die Arbeit des Verfassungsschutzes in ganz Deutschland bedeuten?
ZDF frontal hat mit Personen aus Sicherheitsbehörden gesprochen - offen zitieren lassen will sich niemand. Drei Szenarien sind demnach denkbar. Doch zunächst ein Überblick.
Die Landesverfassungsschutzämter stufen die AfD in Sachsen und Thüringen als erwiesen rechtsextrem und in Brandenburg als Verdachtsfall ein. Bei allen Stufen dürfen Telefonate abgehört, SMS mitgelesen und V-Leute eingesetzt werden. Ob das tatsächlich geschieht, darüber schweigen die Dienste naturgemäß.
Untereinander tauschen sich die Landesämter und das Bundesamt für Verfassungsschutz rege aus und teilen Wissen über Spione, potenzielle Attentäter und Verfassungsfeinde.
Technisch möglich ist das durch die gemeinsam genutzte Datenbank Nadis, in der aktuell gut vier Millionen personenbezogene Einträge gespeichert sind.
Darunter sind nicht nur Extremisten, sondern überwiegend Menschen, die in sensiblen Berufen arbeiten und deshalb eine Sicherheitsüberprüfung durchlaufen haben.
Geregelt ist die Arbeitsweise in den Verfassungsschutzgesetzen. Doch die sind auslegbar.
Bislang wird im Vertrauen darauf zusammengearbeitet, dass geteilte Infos nicht nach außen dringen.
Das klingt extrem dumm
Doch was, wenn das Vertrauen bröckelt?
Szenario 1: Weiter so - mit Zähneknirschen
“Es gibt eine gesetzliche Pflicht zur Zusammenarbeit”, sagt der Chef eines Verfassungsschutzamts gegenüber ZDF frontal. Weil die Thematik heikel und kompliziert ist, will er nicht namentlich zitiert werden.
Er und viele andere Insider widersprechen vehement einem Medienbericht, wonach ein Beschluss für den kompletten Ausschluss eines Amts gefasst worden sei, sollte die AfD dort mitregieren. Das sei ein “Gerücht”. “Rechtlich geht das gar nicht”, sagt er.
Laut Bundesverfassungsschutzgesetz müssen sich alle Ämter gegenseitig “unverzüglich die für ihre Aufgaben relevanten Informationen” übermitteln. Das klingt eindeutig.
Vordergründig könnte die Arbeit unter einer AfD-Regierung auch so weiterlaufen. Andererseits hat der Verfassungsschutz qua Gesetz auch die Aufgabe, die Verfassung gegen ihre Feinde zu schützen. Und wenn die als rechtsextrem eingestufte AfD ein Innenministerium samt Verfassungsschutz leiten würde, wäre das ein klarer Konflikt.
Zwar gibt es schon jetzt Möglichkeiten, nicht alle Informationen mit allen zu teilen. Für einen kompletten Ausschluss vom Informationsfluss müsste man aber die Gesetze ändern, sagt der Landeschef.
Der Verfassungsrechtler Matthias Friehe von der EBS-Universität Wiesbaden schätzt das gegenüber ZDF frontal ähnlich ein: “Wenn im Einzelfall eine Datenweitergabe an ein Landesamt die Arbeit des Verfassungsschutzes konkret gefährden würde, müssen die Daten nicht weitergegeben werden.”
Szenario 2: Zusammenarbeit mit Ausnahmen
Ein weiterer hochrangiger Verfassungsschützer beschreibt seine Arbeit gegenüber ZDF frontal:
„Mit Kolleginnen und Kollegen aus den anderen Verfassungsschutzbehörden arbeitet man immer unterschiedlich eng zusammen. Das hängt am jeweiligen Vertrauensverhältnis oder am Antwortverhalten des Gegenübers.“
Er sieht diverse Möglichkeiten, wie eine AfD-Regierung die Zusammenarbeit beeinflussen könnte:
“Bevor man eigene Erkenntnisse teilt, würde man einmal mehr überlegen, ob man sie für teilenswürdig hält und mit wem man sie teilt.”
“Bei Anfragen aus einem Landesamt unter einer AfD-Regierung könnte man Ausspähversuche vermuten. Man müsste deshalb erst einmal prüfen, ob und wie man antwortet. Bei nicht dringenden Anfragen würde das die Antworten verzögern.”
“Man könnte bestimmte Landesämter nicht mehr zu Konferenzen einladen.”
Gegen eine solche Praxis könnte die AfD indes klagen, sagt der Staatsrechtler Matthias Friehe gegenüber ZDF frontal.
Sollte sich die AfD mit ihren Plänen durchsetzen, könnte ohnehin eine dritte Möglichkeit greifen:
Szenario 3: Abschaffung des Verfassungsschutzes - Rückzugsorte für Verfassungsfeinde?
Die AfD-Landesverbände in Thüringen und Brandenburg wollen den Verfassungsschutz in seiner jetzigen Form abschaffen und durch ein in seinen Befugnissen reduziertes Amt ersetzen. Die AfD Sachsen will ebenfalls einen zusammengestutzten Verfassungsschutz. Was würde in diesem Fall passieren?
Je nach Gesetz könnte eine Zusammenarbeit im Verbund schon aus juristischen Gründen nicht mehr oder nur noch eingeschränkt funktionieren. Ein Nachrichtendienstler fürchtet gar:
„Wir wären dann im entsprechenden Bundesland blinder und darin eingeschränkt, die Verfassung entsprechend dem gesetzlichen Auftrag zu schützen. Es ist davon auszugehen, dass Rechtsextremisten das entsprechende Bundesland als Schutzraum wahrnehmen und als Rückzugsort nutzen würden.“
Der Chef eines Landesamts prognostiziert: “Ein Verfassungsschutz unter AfD-Leitung würde wahrscheinlich eigenen Interessen folgend andere Prioritäten setzen und verstärkt die linksextreme und islamistische Szene ausforschen lassen.”
Sachsens AfD-Landeschef Jörg Urban hatte bereits gefordert, der Nachrichtendienst solle “militante Klimagruppen wie die ‘Letzte Generation’ (…) ins Visier nehmen”.
Bislang liegt die AfD in den Umfragen zu den Ost-Landtagswahlen zwar vorn, doch für eine Regierung reicht es nicht - auch weil die anderen Parteien eine Zusammenarbeit ausschließen. Die Debatte um die Zukunft des Verfassungsschutzes erscheint deshalb noch als Gedankenspiel.
An anderer Stelle hat die Politik schon gehandelt: Ampel-Koalition und Union einigten sich auf einen besseren Schutz des Bundesverfassungsgerichts. So soll etwa die Amtszeit von Richterinnen und Richtern im Grundgesetz verankert werden. Zwar wird die AfD in dem Papier nicht erwähnt, doch man will Zustände wie in Polen oder Ungarn verhindern, wo rechtspopulistische Regierungen durch einfache Gesetzesänderungen die Unabhängigkeit der Justiz angriffen.