Berlin. In einem Seminar hat das linke Bündnis „Migrantifa“ auf den Protest zum Tag der Arbeit eingeschworen – teils mit kruden Thesen.
„Wir sind nur in der Masse handlungsfähig.“ Mit diesen Worten begann Sara (Name von der Redaktion geändert) am Mittwochabend ihren Vortrag. Zwei Wochen vor dem 1. Mai hatte das Netzwerk „Migrantifa“ hatte zu einem „Demo 1x1“ geladen – einer Art Schulungsseminar für den anstehenden Protest zum Tag der Arbeit in Kreuzberg. Etwa 35, überwiegend junge Menschen sind dazu in die „Rote Lilly“ an der Emser Straße in Neukölln gekommen.
Einige der Tipps hätten dabei auch von einem besorgten Erziehungsberechtigten stammen können. „Packt euch auf jeden Fall Wechselklamotten ein“, riet Sara. In bestimmten Situationen, etwa wenn man eingekesselt ist, könne man nicht weg. Wenn es dann regne, würde es „ungemütlich“.
Das ist allerdings nicht der einzige Grund. „Wechselklamotten können auch sinnvoll sein, weil ihr dann einfach anders ausseht und es der Polizei schwerer macht, wenn sie auch rausziehen wollen“, sagte Aktivistin Sara. Außerdem sollte man Brillen statt Kontaktlinsen tragen, da diese beim Einsatz von Pfefferspray „echt eklig“ seien. Zudem ruft die Aktivistin zu einem expliziten Verstoß gegen das Vermummungsverbot auf. „Lasst euch lieber vermummt abfilmen und geht dann früher.“
Demonstration soll in diesem Jahr am Südstern in Kreuzberg starten
Die Revolutionäre 1. Mai Demo soll in diesem Jahr am Südstern in Kreuzberg starten. Von dort soll es über Hasenheide, Hermannplatz, Karl-Marx-Straße zur Sonnenallee und dann wieder zurück zum Südstern gehen. Bei der Polizei angezeigt ist der Protest mit 5000 Teilnehmerinnen und Teilnehmern. In den Vorjahren waren es meist deutlich mehr.
Die Migrantifa beschwor dabei eine Reihe von Repressionen herauf, die mehr auf Anekdoten als auf flächendeckenden Beobachtungen zu fußen scheinen. So warnten die Aktivistinnen vor anlasslosen Taschenkontrollen beim Zugang zur Demonstration. Zum Teil würden Teilnehmerinnen und Teilnehmer nicht durchgelassen, hieß es.
Die Migrantifa gründete sich im Nachgang des rassistischen Anschlags von Hanau im Februar 2020. Das Netzwerk hat sich dem Kampf gegen strukturellen Rassismus verschrieben und ist seither auch an der Organisation der Revolutionären 1. Mai-Demonstration beteiligt. Das Bündnis gehörte auch zu den Unterstützern des umstrittenen „Palästina-Kongresses“, der eigentlich am vergangenen Wochenende in Berlin stattfinden sollte.
Migrantifa wirft der Berliner Polizei „Sadismus“ vor
Die Berliner Polizei löste den von linksradikalen Gruppen organisierte Veranstaltung in Tempelhof allerdings bereits am Freitag nach gerade einmal 90 Minuten auf, weil für einen der Redner in Deutschland ein Betätigungsverbot gilt. Der palästinensische Autor Salman Abu Sitta, dem Nähe zur Hamas unterstellt wird, war in der Vergangenheit immer wieder mit Hasstiraden gegen Israel und Juden aufgefallen. Die Polizei befürchtete, dass er seine „antisemitischen, gewaltverherrlichenden und den Holocaust verleugnenden Redebeiträge“ beim Kongress wiederholen könnte.
Die Lesart bei der Migrantifa ist erwartungsgemäß eine andere. Grund für das Aus des Kongresses und jegliches Handeln der Polizei ist demnach die Rechtfertigung des eigenen Einsatzes. „Die können nicht 2500 Kräfte zum Palästina-Kongress rufen und dann passiert nichts“, sagte Aktivistin Leo (Name von der Redaktion geändert), die neben Sara die Veranstaltung moderiert, und erntete Zustimmung, meist in Form eifrigen Kopfnickens. Ein weiterer Grund sei purer Sadismus der Beamtinnen und Beamten, ergänzte eine Zuhörerin. „Die haben schon Bock darauf, Linke zu verhauen.“
Die linke Szene scheint überall Feinde zu vermuten – nicht nur bei der Polizei, sondern im Zweifel unter den eigenen „Genossen“ oder auf der Demonstration selbst. Deshalb gelte es, niemandem zu vertrauen, den man nicht kennt. So seien im Protestzug mit Sicherheit unzählige „Zivilbullen“ unterwegs, die mitunter selbst zu Ausschreitungen aufstacheln würden, war ein Zuhörer überzeugt.
Aktivisten wähnen Kräfte des Verfassungsschutzes auf der Demo
Ein anderer warnte vor Kräften des Berliner Verfassungsschutzes, die am 1. Mai gezielt Informanten gewinnen wollen würden. Das habe er zumindest gehört, was jedoch ausreichte, um alle im Raum davon zu überzeugen. Und auch unter den Festgenommenen würden sich Personen befinden, „die eigentlich für die Polizei arbeiten und euch aushorchen“, warnte eine Teilnehmerin. Entsprechend sollte man „immer die Klappe halten“.
Dies bekräftigte auch Moderatorin Sara. „Das Wichtigste ist, nicht auszusagen“ Auch sollte man nichts verneinen oder abstreiten, weil die Polizei daraus Aussagen konstruieren würde. Wer in die Gefangenensammelstelle (GeSa) verbracht wird, sollte ferner allen Maßnahmen wie der Abnahme von Fingerabdrücken oder der DNA widersprechen und nichts unterschreiben.
Auch am Telefon, im Gespräch mit Anwältinnen und Anwälten oder mit Angehörigen, sollte man sich nicht inhaltlich äußern, da die Polizei immer mithören würde. Das Schweigegebot gelte auch gegenüber Ärztinnen und Ärzten im Krankenhaus. „Die arbeiten oft mit der Polizei zusammen“, so die These der Moderatorin, die ebenfalls keines Belegs bedurfte, um Zustimmung zu finden.
Demonstrationen bereits am Vorabend in der Walpurgisnacht
Zumeist blieb es in den vergangenen Jahren am 1. Mai friedlich. Die ersten Proteste und Kundgebungen starten bereits am Vorabend. Am Tag der Arbeit selbst laden mehrere Gewerkschaften zur Demonstration ein, die in diesem Jahr von der Karl-Marx-Allee zum Roten Rathaus führen soll. Im Villenviertel Grunewald ist für den Tag außerdem wie bereits in den Vorjahren ein eher satirisch gemeinter Protest linker Gruppen angemeldet.
Den Höhepunkt bildet allerdings jedes Jahr die 18-Uhr-Demonstration durch Kreuzberg und Neukölln. Hier gibt es seit jeher immer wieder Ausschreitungen, Polizei und Protestierende geraten aneinander. Allerdings blieb es dort zuletzt meist verhältnismäßig ruhig. Allerdings bleibt abzuwarten, wie sich der Nahost-Konflikt in diesem Jahr auswirken könnte.
Ganz dezent von Verfolgungswahn und Realitätsfremde geprägt… Kann man nicht mehr ernst nehmen.
Mal die Berichte im Nachgang zu den G20 Protesten verfolgt? Da wurde über die meisten Punkte im Nachgang explizit berichtet. Gab vor kurzem erste den Bericht über den Knüppelcop aus BaWü, der “leider” von der Staatsanwaltschaft nicht identifiziert werden konnte, auch wegen schlampiger Beweisaufnahme (https://m.focus.de/regional/hamburg/nach-pruegel-eklat-legen-chats-fuerchterliches-menschenbild-von-g20-polizist-offen_id_259879887.html)
Genau so sind bei G20 Polizisten in Zivil im Schwarzen Block mit gelaufen und waren dabei auch vermummt: https://www.spiegel.de/panorama/justiz/g20-polizisten-marschierten-bei-demo-im-schwarzen-block-mit-a-1208567.html
Die Vermummung im schwarzen Block war damals interessanterweise auch ein Grund für den später eskalieren Polizeieinsatz: https://www.welt.de/politik/deutschland/article166380357/So-erklaert-die-Polizei-die-Aufloesung-der-Welcome-to-Hell-Demo.html
Also nein, kein Verfolgungswahn, nur vernünftige Vorsicht.
Gute Zusammenfassung mit Quellen. Ich glaube so klassische Agent Provocateur mit die aktiv anstacheln oder bspw den ersten Stein werfen gibt es in DE trotzdem nicht, braucht es aber auch nicht wirklich weil die Cops eh jede Demo zerlegen dürfen wenn sie es denn wollen.
Das glaube ich auch nicht, wobei ich die vermummten Zivilpolizisten schon als sehr nah dran empfinde. Die werden die Vermummung niemals abnehmen, um ihre Identität zu schützen und die Vermummung der Teilnehmer war eben Anlass der Eskalation. Schon heftig, finde ich.