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    1 month ago

    Ein Werwolf eines Nachts entwich

    von Weib und Kind und sich begab

    auf eines Dorfschullehrers Grab

    und bat ihn: „Bitte, beuge mich!“

    Der Dorfschulmeister stieg hinauf

    auf seines Blechschilds Messingknauf

    und sprach zum Wolf, der seine Pfoten

    geduldig kreuzte vor dem Toten:

    „Der Werwolf“ – sprach der gute Mann,

    „des Weswolfs, Genitiv sodann,

    dem Wemwolf, Dativ, wie man’s nennt,

    den Wenwolf, - damit hat’s ein End’.“

    Dem Werwolf schmeichelten die Fälle,

    er rollte seine Augenbälle.

    „Indessen“, bat er, „füge doch

    zur Einzahl auch die Mehrzahl noch!“

    Der Dorfschulmeister aber mußte

    gestehn, daß er von ihr nichts wußte.

    Zwar Wölfe gäb’s in großer Schar,

    doch „Wer“ gäb’s nur im Singular.

    Der Wolf erhob sich tränenblind –

    er hatte ja doch Weib und Kind!!

    Doch da er kein Gelehrter eben,

    so schied er dankend und ergeben.

    Christian Morgenstern